Offener Brief aus der Zivilgesellschaft
Einstehen für die Europäische Menschenrechtskonvention
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stärkt unsere Rechte und schützt uns vor staatlicher Willkür. Er ist der Hüter der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Die grosse Mehrheit der Bevölkerung trägt diese wichtige Institution mit: 2018 wurde die Selbstbestimmungsinitiative, die sich gegen den EGMR richtete, klar abgelehnt. Jetzt wird der EGMR wieder angegriffen – durch das Parlament und den Bundesrat wegen eines missliebigen Urteils. Wir sind besorgt.
In einem offenen Brief aus der Zivilgesellschaft fordern wir das Parlament und den Bundesrat dazu auf, verantwortungsvoll zu handeln.
Brief jetzt unterzeichnen und für die Menschenrechte einstehen
Der offene Brief
Sehr geehrte Politiker*innen
Mit grosser Besorgnis verfolgen wir die aktuelle politische Debatte in der Schweiz rund um den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Der EGMR ist die wichtigste internationale Institution zum Schutz der Menschenrechte weltweit und auch für die Schweiz. Die Schutzwirkung dieses Systems beruht darauf, dass Urteile des Gerichtshofes verbindlich sind. Der EGMR stärkt unsere Rechte und schützt uns vor staatlicher Willkür.
Nun wird dieses Schutzsystem politisch angegriffen. Durch das Parlament und den Bundesrat. In der Empörung ob eines EGMR-Entscheides, der politisch nicht allen passt, zeigen sich erschreckend viele gewählte Politiker*innen bereit, diese wichtige Menschenrechtsinstitution und damit auch die Rechte der Schweizer Bürger*innen zu unterminieren.
Die Botschaft, die ausgesandt wird, ist in ihrem Kern populistisch. Sie sorgt sich vermeintlich um die öffentliche Legitimation des Gerichtshofes, unterminiert aber genau diese Legitimität. Sie beruft sich auf die Gewaltenteilung, missachtet diese jedoch, indem sich das Parlament und die Regierung zum Gericht über das Gericht machen. Zum Tabubruch stilisiert wird, was doch die Hauptaufgabe des EGMR ist: Wächter und Impulsgeber zu sein für unsere Menschenrechte.
Dass Urteile des EGMR nicht allen in der Politik gefallen, ist nicht nur verständlich – es entspricht dem Kern der Sache: Würde in dem Land, woher die Kläger*innen kommen, in Bezug auf die Menschenrechte alles richtig gemacht, gäbe es auch keine Urteile. Der EGMR existiert nicht, um Parlamenten und Regierungen zu gefallen. Er existiert, damit die Bürger*innen dieser Länder an einem möglichst unabhängigen Ort ihre Menschenrechte einfordern können.
Der EGMR steht nicht in einem Spannungsfeld mit der direkten Demokratie der Schweiz – im Gegenteil. Wer friedlich zusammenleben will, legt gemeinsame Regeln fest. Auf dieser Idee baut unser Land auf, auf dieser Idee beruht das Völkerrecht. Ein Rahmen, in dem Menschenrechte für alle gelten und auf neue Herausforderungen wie die Klimaveränderung angewandt werden können, ist eine Voraussetzung für die lebendige und vielstimmige Auseinandersetzung, die einer funktionierenden Demokratie zu Grunde liegt. Umso mehr ist Achtsamkeit und verantwortungsvolles Handeln von der Politik gefragt.
Die jetzige Polemik schwächt den EGMR und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), deren Hüter er ist. Sie schwächt die Menschen in den 46 Mitgliedstaaten der Konvention. Sie ist Appeasement gegenüber den radikalen Gegnern des internationalen Menschenrechtsschutzes und normalisiert deren bereits erhobene Forderung nach einer Kündigung der EMRK. In einer Zeit, in der die Menschenrechte unter Druck stehen und gestärkt werden sollten, spielt die Reaktion der Politik vor allem denjenigen zu, welche diese Menschenrechte schwächen wollen. Autokraten, autoritäre Politiker und Populisten überall in Europa werden die Erklärung mit Gusto gegen die Rechte der Menschen in ihrem Einflussbereich verwenden.
Wir fordern das Parlament und den Bundesrat deshalb dazu auf, verantwortungsvoll zu handeln. 2018 haben die Schweizer Bürger*innen der Selbstbestimmungsinitiative, die gegen den EGMR gerichtet war, an der Urne mit 66,2 Prozent eine klare Abfuhr erteilt. Die Mehrheit der Bevölkerung trägt diese wichtige Menschenrechts-Institution mit. Wir wünschen uns von der Politik, dass sie dasselbe tut.
Unterstützende Organisationen
Erstunterzeichner*innen
- Helen Keller (ehem. CH-Richterin am EGMR)
- Tarek Naguib (Koordinator NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz)
- Chiara Simoneschi-Cortesi (alt Nationalratspräsidentin Die Mitte)
- Stefan Haupt (Regisseur)
- Andrea Huber (Menschenrechtsaktivistin und Politikberaterin, ehem. Kampagnenleiterin gegen SBI)
- Thomas Cottier (emer. Professor für europäisches und internationales Wirtschaftsrecht an der Uni Bern)
- Ulrich Gut (Publizist, Herausgeber PolitReflex)
- Ursula Biondi (Menschenrechtsaktivistin, ehem. Präsidentin Verein RAVIA)
- Hans-Peter Fricker (alt Verfassungsrat FDP, Zug)
- Henry Both (Sozialarbeiter und Mitinitiant der Informationskampagne "Schutzfaktor M")
- Mark Balsiger (Geschäftsführer Bewegung Courage Civil)
- Sylvia Egli von Matt (ehem. Direktorin Schweizer Journalistenschule MAZ)
- Markus Notter (alt Regierungsrat Zürich)
- Niccolò Raselli (ehem. Richter)
- Cécile Bühlmann (alt Nationalrätin Grüne, ehem. Leiterin feministische Friedensorganisation, ehem. Vizepräsidentin EKR)
- Paolo Bernasconi (Rechtsprofessor und Anwalt)
- Nesa Zimmermann (Assistenzprofessorin für Recht Universität Neuenburg)
- Julia Meier (Verantwortliche Politische Arbeit Brava)
- Rudolf Wyder (Vorstandsmitglied Plattform Schweiz-Europa)
- Fanny De Weck (Rechtsanwältin)
- Christoph Siegrist (ehem. Pfarrer Grossmünster)
- Marianne Aeberhard (Geschäftsführerin humanrights.ch)
- Stefanie Trautweiler (Journalistin, Betreiberin Europe’s Human Rights Watchdog)
- Guillaume Lammers (Anwalt, Lehrbeauftragter)
- Aurélien Barakat (Rechtsanwalt, Präsident des Gewerbevereins Sektion Genf)
- Fanny Barakat (Co-Präsidentin Westschweizer Konsument*innenverband Sektion Genf)
- Joëlle Fiss (Menschenrechts-Expertin, FDP-Grossrätin Kanton Genf)
- Philippe Kenel (Rechtsanwalt)
- Remigio Ratti (alt Nationalrat Die Mitte, Ehrenpräsident Coscienza Svizzera)
- Jörg Paul Müller (emer. Professor)
- Véronique Boillet (Rechtsprofessorin Universität Lausanne)
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