Heute vor drei Jahren sagte die Schweiz JA zur Ehe für alle
Die Hartnäckigkeit zahlte sich aus – Rückblick auf sieben Jahre Kampagne
Heute jährt sich das JA zur Ehe für alle zum dritten Mal. Ruedi Schneider leitete unsere Kampagne sieben lange Jahre mit und wirft heute einen Blick zurück auf den steinigen Weg zur Ehe für alle. Für ihn ist es eine Erinnerung daran, was mit hartnäckigem zivilgesellschaftlichem Engagement möglich ist.
Operation Libero wirft dieses Jahr im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums am Jahrestag von wichtigen Abstimmungen einen Blick zurück. Heute darf ich das tun.
Der 26. September 2021 war für viele Menschen in der Schweiz ein historischer Tag – auch für mich. Ich hatte diesen Tag lange herbeigesehnt und mit vielen, vielen anderen Menschen während sieben Jahren auf diesen Tag hingearbeitet. Der anstrengende Weg zur Ehe für alle zeigt, dass gesellschaftspolitische Veränderungen in der Schweiz einen sehr langen Atem, viel Beharrlichkeit und starke Nerven brauchen. Doch die Hartnäckigkeit zahlt sich aus! Mein Rückblick:
Kampagnenstart in einer Nacht- und Nebelaktion
2015 wurde uns bewusst, dass die parlamentarische Initiative für die Ehe für alle bereits an der ersten Hürde zu scheitern drohte. Kurzum lancierten wir als noch junge Organisation in einer Nacht- und Nebelaktion im Jahr 2015 gemeinsam mit sieben zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen eine Petition, um die parlamentarische Initiative für die Ehe für alle zu unterstützen.
Zur Unterstützung der Petition schrieb Heidi Happy eigens den Song «Marry Me». Unzählige Menschen sendeten Videos ein und machten so ein Musik-Crowd-Video möglich. Mit Lied und Video ausgerüstet, riefen wir den «Summer of Love» aus und machten uns auf die Suche nach Unterzeichner*innen.
Doch diese mussten nicht lange gesucht werden: Tausende Menschen unterzeichneten die Petition. Die Unterschriften überreichten wir gemeinsam mit einem Stück Hochzeitstorte im Herbst 2015 den Mitgliedern der Rechtskommission des Ständerats.
Mit dem JA der Kommission nahm die Ehe für alle eine erste Hürde. Beim spontanen Feiern des Entscheids an jenem Abend, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir noch sechs Jahre dranbleiben müssen, bis die Ehe für alle Tatsache werden wird.
2016 – Drei Verhinderungsversuche vereitelt
Drei Mal wollten die realitätsverweigernden Kräfte im Jahr 2016 verhindern, dass sich die Liebe und die Realität durchsetzen – alle Versuche scheiterten. Zuerst kam die CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe zur Abstimmung, die die Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» in die Bundesverfassung schreiben wollte. Das hätte die Ehe für alle verunmöglicht, ehe diese überhaupt Realität werden konnte. Dagegen haben wir uns eingesetzt. Hauchdünn wurde die Initiative an der Urne abgelehnt.
Die Unterschriftensammlung für das Referendum gegen die Stiefkindadoption scheiterte. Und im Herbst stiegen wir in Zürich gegen die Eheverbot-Initiative der EDU zum ersten Mal in einen kantonalen Abstimmungskampf ein. Wir feierten Hochzeit, mobilisierten auf der Strasse und stellten Persönlichkeiten wie Model Tamy Glauser und Pfarrerin Sybill Forrer vor die Kamera. Mit Erfolg: Die EDU-Initiative wurde mit über 80%-Neinstimmen bachab geschickt. Es war ein klares Signal nach Bern – doch dort bewegte sich kaum etwas.
Ausharren und den Druck aufrecht halten
Während Deutschland uns mit der Einführung der Ehe für alle überholte, machten wir die Öffentlichkeit auf das Schneckentempo in Bern aufmerksam: Im Sommer 2018 lagen in Bern gleichgeschlechtliche Brautpaare in der brütenden Hitze und warteten. Auf Social Media warteten auch Promis wie Nemo oder Lo und Leduc und natürlich viele Liberas und Liberos.
Doch es ging vorwärts, wenn auch langsam. Die Rechtskommission des Nationalrates beauftragte die Verwaltung damit, eine Kernvorlage für die Eheöffnung auszuarbeiten. Am Valentinstag 2019 wartete die Schweiz immer noch. Einmal mehr wollten wir Druck machen. Wir starteten erneut eine Aktion, um dem Anliegen mehr Aufmerksam zu verschaffen.
Einmal mehr warfen sich verliebte Paare für uns in Brautkleider und Anzüge. Im Skigebiet drehten sie Runden auf dem Skilift und verteilten den Hobby-Sportler*innen Hochzeitseinladungen: Datum unbekannt. Die verblüfften Reaktionen der Eingeladenen – mit der Kamera eingefangen – verbreiteten sich in Windeseile auf Social Media.
Inzwischen hatte die Petition von Operation Libero 37’000 Unterschriften erhalten. Die Rechtskommission des Nationalrates brachte die Ehe für alle einen weiteren grossen Schritt vorwärts und schickte eine Variante mit allen Rechten und Pflichten in die Vernehmlassung. Die Kommission anerkannte, dass es für den Zugang zur künstlichen Befruchtung keine Verfassungsänderung braucht.
Reality-TV für die Ehe für alle
Mitte August 2019 machten wir mit einem «24-Stunden Reality-TV für die Ehe für alle» auf das Anliegen aufmerksam: Während 24 Stunden lebten Dominique Rinderknecht und Tamy Glauser im Schaufenster mitten in Bern. Die Aktion konnte im Livestream mitverfolgt werden.
Doch dann ein herber Rückschlag: Am gleichen Tag schlug die Rechtskommission des Nationalrates eine Ehe zweiter Klasse für gleichgeschlechtliche Paare vor. Unsere Message: Der Nationalrat muss nachbessern!
Als die parlamentarische Initiative im Frühling 2020 wieder traktandiert war, verschenkten wir Samen für die Samenspende – ein Wildblumen-Mix zum Aussäen und Liebeernten. Im Sommer dann stand endlich fest: Die Ehe für alle soll kommen und zwar wirklich mit gleichen Rechten und Pflichten.
Im Dezember 2020 hatte das Warten endlich ein Ende – vermeintlich: Das Parlament sagte Ja zur Öffnung der Ehe inklusive Samenspende. Es anerkannte die Realität. Doch die Gegner ergriffen das Referendum. Innert kürzester Zeit nach der Einreichung des Referendums knackte unsere Petition die 100’000-Unterschriften-Marke. Nach all den Jahren des Wartens waren wir sowas von bereit.
Love wins - finally
Im Sommer 2021 dann der lang ersehnte Abstimmungskampf. Noch einmal hiess es, alle Kräfte zu mobilisieren. Wir verkauften fast 10’000 Paar Equality Socks – because inequality sucks! Wir gaben einen Vorgeschmack auf die grandiosen Hochzeiten, welche nun endlich stattfinden können und feierten mit viel Konfetti, Prosecco und Applaus vor dem Standesamt in Zürich. Wir flyerten wie wild – auch mit Vertreter*innen der SVP – produzierten Bierdeckel, veranstalteten Bootcamps. Wir waren eifrig.
Weil’s so schön war, organisierten wir für zahlreiche heiratswillige Paare den längsten Spalier der Schweiz und feierten anschliessend zusammen mit der Band Hecht.
Dieser Spalier war für mich ein ganz besonderes Highlight. Noch am Vorabend sass ich mit einigen Anderen in der Geschäftsstelle von Operation Libero und telefonierte Kontakte ab, damit genügend Menschen zum Spalierstehen für den Rekord vor Ort waren. An jenem Vorabend entstand der Eindruck, dass «die Luft draussen» ist und sich eine Erschöpfung in der Community breitmachte nach all den engagierten Jahren. Doch am nächsten Tag verfolgen alle Bedenken. Eine unglaubliche Menschenmenge versammelte sich auf dem Helvetiaplatz. Der Spalier musste auf eine angrenzende Strasse erweitert werden – der Platz reichte nicht mehr aus. Noch heute durchfährt mich eine tiefe Dankbarkeit und enorme Freude beim Gedanken an jenen Tag.
Am 26. September 2021 war es dann endlich geschafft. Die Medienbilder unseres riesengrossen Herzes mit der Aufschrift «Gleiche Liebe – Gleiche Rechte» ging um die ganze Welt. Wir liessen die Korken knallen und stiessen an: auf all die Freiwilligen, die an den unzähligen Aktionen der vergangenen sieben Jahren dabei waren, angepackt haben, mit uns mitgefiebert und gewartet haben. Die den Druck aus der Zivilgesellschaft heraus über all die Jahre durch aufrecht gehalten haben – damit dieser Schritt endlich ermöglicht werden konnte.
Dranbleiben und weitermachen!
Heute stossen wir erneut an: Der Weg war lang und harzig, aber wir würden es wieder tun. Denn es hat sich gelohnt! Aber wir sind noch lange nicht am Ziel einer offenen und gerechten Gesellschaft. Im vergangenen Jahr wurden 305 Angriffe gegen queere Personen der LGBTIQ-Hotline gemeldet – ein trauriger Rekord. Fortschritte in der Gleichstellung kommen nur langsam voran. Immer wieder gibt es massive Angriffe auf gesellschaftliche Errungenschaften.
Die sieben Jahre Kampagne und zahlreiche Aktionen und Abstimmungskämpfe waren intensiv. Das gemeinsame Engagement war motivierend und gab Energie. Aber die vielen Hürden und die langsamen Schweizer Politmühlen waren ermüdend und die teils diskriminierenden Debatten und Diskussionen waren kräfteraubend. Doch etwas vom eindrücklichsten, das ich aus diesen Jahren mitnehme, ist, was möglich wird, wenn sich Menschen gemeinsam engagieren.
Unzählige Freiwillige, die sich vor und hinter den Kulissen engagierten, unzählige Stunden investierten und gemeinsam dranblieben. Der Druck aus der Zivilgesellschaft war entscheidend für die Einführung der Ehe für alle und er bleibt auch in Zukunft entscheidend. Es kommt auf uns alle an. Bleiben wir gemeinsam dran!
Verfasser: Ruedi Schneider ist Gemeinderat der Stadt Zürich und hat die Kampagne «Ehe für alle» gemeinsam mit Jessica Zuber während sieben Jahren ehrenamtlich geleitet.