Operation Libero Pink

Hoffnung für den Widerstand gegen die Autokraten

Ein Plädoyer von Sanija Ameti

Mit diesem Plädoyer leitete Sanija Ameti am 23. Januar 2025 den ausverkauften Event "Pressure Test: Die Antworten des Liberalismus auf Donald Trump" ein.

Immer öfter muss ich an meine Eltern denken, wie sie Anfang der 90er irgendwo in Jugoslawien heimlich Coca Cola trinken. Nicht, weil es ihnen schmeckt, sondern weil es ihre Sehnsucht nach Freiheit nährt. Heimlich, weil das amerikanische Produkt in der damaligen sozialistischen Republik verboten war. Das Verbot galt wohl gar nicht unbedingt dem Getränk. Es galt vor allem dem, was es symbolisierte: Hoffnung.

Hoffnung auf eine andere, freie Welt. Es war erst diese Hoffnung, die es den Menschen ermöglichte, wehrhaft zu sein. Und es war erst diese Hoffnung, die ihnen die Entschlossenheit zum Widerstand gegen das autokratische System gab. Und genau so war es die Hoffnung der Ukrainer, zum freiheitlichen System zu gehören, als sie sich - symbolisch- auf dem Euromaidan versammelt haben. Und es ist gerade diese Hoffnung, welche der Autokrat in Russland so fürchtet, dass er sie vernichten will.

Denn das Schlimmste, was einem Autokraten passieren kann, ist, wenn seine Untertanen ins Nachbarland schielen, Freiheit sehen und eine Sehnsucht danach zu hegen beginnen. Denn genau so wollten meine Eltern freie Europäer werden, wie es die freien Amerikaner waren, und die Ukrainer wollen freie Europäer werden, wie wir es sind (und hoffentlich bleiben).

Was will ich Ihnen damit sagen, liebe Anwesende? Die noch wenigen liberalen Demokratien dieser Welt, und gerade die ältesten unter ihnen, sind nie einfach nur Demokratien für sich selbst: Sie sind immer auch Hoffnungsträgerin für alle Menschen dieser Welt, die sich nach der gleichen Freiheit sehnen. Sterben ausgerechnet die ältesten Demokratien, stirbt auch diese Hoffnung. Und damit die Grundlage für die Wehrhaftigkeit des Liberalismus.

Die älteste ununterbrochen bestehende Demokratie hat nun eine autoritäre und offen antidemokratische Regierung. Damit hört sie auf, Hoffnungsträgerin zu sein. Das bedeutet für uns, die wir in der Schweiz - der zweitältesten liberalen Demokratie - leben, eine noch grössere Verantwortung.

Deshalb will ich nicht einfach dankbar sein, hier in einer Demokratie leben zu dürfen. Ich will Entschlossenheit zur Wehrhaftigkeit. Denn wenn wir, die Zivilgesellschaft, unserer liberalen Demokratie etwas schulden, dann ist es nicht einfach nur Dankbarkeit gegenüber den vorherigen Generationen, dass wir in einer Demokratie leben dürfen, sondern Entschlossenheit.

Die wichtigste Errungenschaft der vorherigen Generationen war nicht, was sie selbst für ihre Generation erreichen konnten, sondern das, was sie den nachfolgenden Generationen ermöglichten, zu erreichen. Es ist das Potenzial für Veränderung, Reform, Inklusion und Fortschritt, das sie damals geschaffen haben, welches unsere freiheitliche Demokratie am Leben hält.

Und Freiheit ist kein Zustand, der sich feststellen und dann sichern lässt. Sondern "ein Fundament, das nicht fundiert ist", wie die Philosophin Ágnes Heller schrieb. Die Bedingungen für Freiheit müssen ständig neu verhandelt werden. Wir müssen also aufhören, den Liberalismus in Dankbarkeit als selbstverständlich zu nehmen, sondern in Entschlossenheit handeln, um ihn besser zu machen, wehrhafter.

Pressure Test, ausverkaufter Event zum wehrhaften Liberalismus in Zürich

Um die Antwort darauf zu finden, wie wir wehrhafter werden, müssen wir uns zuerst fragen, wo unsere Schwachstellen sind. Ich beschränke mich auf drei, die mir wesentlich erscheinen.

  1. Der Liberalismus wird heute vielfach als Machterhaltungsmittel für die Mächtigen missbraucht. Liberale wollen oft nichts davon wissen, dass die Freiheit zur persönlichen Entfaltung meist nur die geniessen können, die schon frei sind. Und alle anderen sich gar nicht um die Freiheit kümmern können oder wollen, weil sie für ihre Existenz schuften müssen. Statt grösserer Chancengleichheit entsteht so eine neue Plutokratie. Das betrifft nicht nur die formale Freiheit, das Bürgerrecht, welches ¼ der Bevölkerung in diesem Land immernoch nicht besitzt. Sondern auch die materielle Freiheit: Frei ist, wer seine Freiheit gebraucht, so unsere Bundesverfassung.

    Jeder kann es schaffen, jeder kann nach oben treiben, der nur heftig genug strampelt. Dieses Leistungsdenken übersieht, wie ungleich und ungerecht die Ausgangsbedingungen sind. Die Freiheit, frei zu sein, wie es Hannah Arendt nennt, braucht den sozialen Ausgleich: Ohne diesen Ausgleich schwimmt das Fett immer oben. Und deshalb kann der Liberalismus, wenn er die Freiheit aller zum Ziel hat, nur ein sozialer sein. Sonst wenden sich die Menschen von ihm ab: Denn das Heilsversprechen des Liberalismus, dass nämlich weniger Staat automatisch zu mehr persönlichem Wohlstand führt, bleibt - gerade für die kommenden Generationen, ein leeres.

  2. Europa ist spätestens mit dieser Wahl Trumps kein Protektorat der USA mehr. Und das "Ende der Geschichte" stellte sich als Aufbruch ins Ungewisse heraus. Nicht nur die Friedensdividende, auch die demographische Dividende ist aufgebraucht. Und in diesen Zeiten des Wohlstands haben wir verlernt, dass es Freiheit nötigenfalls mit Waffen zu verteidigen gilt. Was bedeutet das für die europäische Verteidigungsindustrie? Und wird die Schweiz auch hier Trittbrettfahrerin sein?

    Für einmal stimmt mich der dystopische aber durchaus freiheitsliebende Sozialist George Orwell optimistisch, indem er meinte, dass der Liberalismus die Unvollkommenheit des Menschen im Blick hat: "Er ist ein immer andauerndes Reformprogramm, um die Grausamkeit zu lindern, die wir um uns herum sehen."

  3. Wir müssen endlich beginnen, Medienpolitik als Sicherheitspolitik zu begreifen. Denn bevor die Freiheit mit Waffen von aussen zerstört werden kann, muss sie zuerst von Innen geschwächt werden. Dazu spannen autoritäre Staaten mit den mächtigsten Konzernen zusammen. Man sagt, als richtige “Lieberale” müsse man Angst vor Staatsmacht haben. Aber wo bleibt die Angst vor der Macht von Konzernen?

    Auf Meta wurden Suchbegriffe wie “democrat”, “liberal” “abortion” oder “Biden” zensiert und Fact Checking kurzerhand abgeschafft. Doch es sind nicht Trump, Musk oder Zuckerberg, die mich wütend machen. Sondern dass wir es wider besseren Wissens so weit haben kommen lassen. Hannah Arendt und wie schon so viele vor ihr haben gemahnt: “Der ideale Untertan der totalitären Herrschaft ist nicht der überzeugte Nazi oder der engagierte Kommunist, sondern Menschen, für die die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion, wahr und falsch, nicht mehr existiert.” Putin weiss das, Orban weiss das, Vucic, der ehemalige Propagandaminister von Milosevic, weiss das, Trump weiss das. Und wir wissen es doch eigentlich auch.

Und deshalb nehmen wir den Liberalismus nicht in Dankbarkeit als selbstverständlich, wir handeln in Entschlossenheit, um ihn wehrhafter zu machen. Ganz im Sinne der Landeshymne: Handelt, freie Schweizer, handelt.


Verfasserin: Sanija Ameti, Co-Präsidentin
 

Sanija Ameti
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