Europa für Balkonien: Eine Sommerleseliste

Im Hause der gastfreundlichen und klugen Aline Valagin und des Star-Anwaltes Wladimir Rosenbaum kommt im Zürich der 30er-Jahre alles Zusammen, was in Kunst, Literatur und Politik Rang und Namen hat. Sie sind deswegen auch die Zielscheibe des lokalen Faschismus. Ihre Biographie ist nicht nur ein wunderschönes Buch über Zürich, sondern auch über Zürichs Plätzchen in Europa.

Besser wird die Ferienlektüre nicht mehr. Das Leben bemerkenswerter Menschenim Jahre 1913 wird an hand von kurzen und kurzweiligen biographischen Anekdoten zu einem erstaunlichen, lebendigen aber desillusionierenden Bild zusammengefügt. 1913 war - so die These von Illies - der Sommer des Jahrhunderts. Alles, was das 20. Jahrhundert modern machte, war schon da. Nur der Krieg noch nicht. Sie haben ihn noch nicht einmal kommen sehen. Viele der vorgestellten Biographien hatten sich bereits damals vom Nationalen entkoppelt und waren europäische Biographien.

Vor der EU gab es andere transnationale Gebilde in Europa (die alle noch mehr Schwächen hatten, als die EU heute), die in der Lage waren, eine gemeinsame Identität zur Verfügung zu stellen, die ihren eigenen Untergang lange überdauerte. Das Werk Joseph Roths dreht sich um die Identität, die Österreich-Ungarn zur Verfügung stellen konnte, und um den Verlust, den viele Menschen (auch Roth selbst) empfanden, als dieses durch Nationalstaaten ersetzt wurden (die ihrerseits bad wieder durch die UdSSR und das NS-Regime zerstört wurden, s. Den Buchtipp “Bloodlands”).

Die ungeheur spannend erzählte Geschichte über den Ausbruch des 1. Weltkrieges, die Urkatastrophe des Kontinents. Clark räumt auf mit der Idee, die Monarchen und die Militärs hätten nicht gewusst, was sie da tun. Er zeigt, dass sie als unvermeidlich empfanden, was viele von ihnen selber als eine Katastrophe verstanden.

Ein dreibändiger Comic-Roman, der das Berlin der 20er-Jahre schwarz-weiss aber sehr plastisch zeichnet und aus der Perspektive gewöhnlicher Menschen zeigt, wie Berlin zu jener Zeit das kulturelle Zentrum Europas war, aber auch Kristallisationspunkt des sich anbahnenden Unheils.

Ist es denkbar, dass es einen wundervolleren, reicheren Roman geben kann, als “der Name der Rose”? Gleichzeitig eine Kriminalgeschichte, ein lebendiges Bild des Lebens im Mittelalter und eine philosophische Auseinandersetzung über die Beziehung von Begriff und Objekt. Vor allem aber ist es ein Roman über das spätmittelalterliche Europa, in dem irische Mönche in Oberitalien zum Rechten sehen und eine maurische Erfindung, die über Spanien nach Europa gelangt ist, gerade damit beginnt, den Kontinent auf den Kopf zu stellen.

Dieses Buch ist eine Geschichte Osteuropas unter der Sowjetunion und unter den Nazis. Sie weist nach, dass die Greueltaten beider Regime auf diesen breiten Streifen Land zwischen Moskau und Berlin angewiesen waren und im Wesentlichen dort stattfanden und dass die Zerschlagung von vorher bestehenden funktionierenden Institutionen eine Bedingung dafür war, dass diese Greueltaten stattfinden konnten. Europa erscheint in einem ganz anderen Licht, wenn seine Bloodlands, gewöhnlich am Rande Europas, einmal ins Zentrum gerückt werden.

Es geht in dieser Kurzgeschichte zwar nicht um Europa, sondern um einen nervlich stark überreizten („nervous agitation“, „mental disorder“) und reichen alten Mann in einer grossen Villa, die über einem See thront.