Eine schrecklich ungerechte Familie
Mit Extrawürsten auf Stimmenfang
Mit der Initiative “Familien stärken!” macht die CVP Klientelpolitik auf Kosten der Allgemeinheit. Von ihrem Vorschlag, Kinder- und Ausbildungszulagen in Zukunft von der Einkommenssteuer zu befreien, würden vor allem wohlhabende Familien profitieren, die bereits heute im Vergleich zu anderen Haushaltsformen weniger Steuern zahlen.
von Ivo Scherrer
Kommen die Wahlen, kommen die Extrawürste: Schon in normalen Zeiten vergeht kaum eine Woche, ohne dass die eine oder andere Partei einen Platz für neue Steuerabzüge sucht, um eine Extrawurst für ihre Wähler herauszuschinden. Im Wahljahr werden diese Wurstwaren aus den parteieigenen Charcuterien nun besonders lauthals angepriesen. Das jüngste Angebot kommt aus dem Hause der selbsternannten Familienpartei: die CVP verlangt, dass Kinder- und Ausbildungszulagen neu steuerbefreit werden. Diese Initiative, über die wir am 8. März abstimmen, ist aus zwei Gründen abzulehnen. Erstens kommt sie einer pauschalen Steuersenkung für alle Familien gleich, unabhängig davon, ob diese bedürftig sind oder nicht. Zweitens betreibt die Initiative Lebensformpolitik durch die Hintertür, indem sie über das Steuersystem ein Leben mit Kindern gegenüber einem Leben ohne Kinder bevorzugt.
Unser Steuersystem ist im Prinzip simpel: Bürgerinnen und Bürger werden entsprechend ihrer wirtschaftlichen Fähigkeit besteuert: Je tiefer das Einkommen, umso tiefer der Steuersatz. Nun gehören vom Staat gesprochene Kinder- und Ausbildungszulagen genauso zum Einkommen wie Löhne oder Dividendenausschüttungen. Kinderzulagen vom steuerbaren Einkommen auszunehmen, widerspricht somit dem Grundprinzip der Besteuerung gemäss Leistungsfähigkeit und öffnet Tür und Tor für weitere Ausnahmen.
Wohlhabende Familien
Die CVP behauptet, Familien hätten eine steuerliche Entlastung besonders nötig. Eine neue Erhebung von Avenir Suisse zeigt aber das Gegenteil: So werden Haushalte mit Kindern schon heute weniger stark besteuert als Haushalte ohne Kinder. Bei dieser Betrachtung sind die höheren Lebenskosten, welche Haushalte mit Kindern haben, schon berücksichtigt. Würden nun auch noch Kinder- und Ausbildungszulagen steuerbefreit, würden vor allem die reicheren Haushalte mit Kindern profitieren. Dies rührt daher, dass für Haushalte mit hohem Einkommen bei abnehmendem Einkommen der durchschnittliche Steuersatz aufgrund der Steuerprogression stärker abnimmt als für Haushalte mit tieferen Einkommen. Dazu kommt, dass Haushalte mit Kindern, die über ein Bruttoeinkommen von knapp unter 100’000 Franken verfügen, ohnehin schon von der Entrichtung der direkten Bundessteuer ausgenommen sind. Ihnen würde die Steuerbefreiung der Kinder- und Ausbildungzulagen auf Bundesebene nichts bringen. Es sind die wohlhabende Familien, denen die CVP das grösste Scheibchen Extrawurst in die Hände drücken will.
Grobschlächtige Umverteilung
Die Steuerausfälle, welche bei Annahme der Initiative gemäss Schätzungen des Bundesrates mindestens eine Milliarde Schweizer Franken betragen würden, müssten diejenigen berappen, die keine Kinder haben. Bei gleichbleibenden Staatsausgaben müssten die Einkommenssteuern für alle kinderlosen Haushalte - auch für ärmere - erhöht werden, um die Steuerausfälle zu kompensieren. Dies würde die bereits negativen Arbeitsanreize der Einkommenssteuer noch verstärken: Wird der Einkommenssteuersatz für alle kinderlosen Haushalte erhöht, lohnt es sich für sie weniger, einer Arbeit nachzugehen.
Die CVP-Initiative ist also ein äusserst grobschlächtigtes Instrument zur Umverteilung. Eine wirklich gezielte, und damit gerechte und kosteneffiziente Umverteilung ist nur mit Steuergutschriften für Haushalte mit tiefen Einkommen möglich - dafür macht sich die Operation Libero seit ihrer Gründung stark.
Lebensformpolitik durch die Hintertür
Die CVP erhofft sich mit ihrer Initiative, die Schweizerinnen und Schweizer dazu anregen zu können, mehr Nachwuchs fürs Land zu zeugen. Sie will das Leben mit Kindern dem Leben ohne Kinder bevorzugen und greift damit stark in rein private Lebensentscheidungen ein. In einer liberalen Gesellschaft aber soll die Entscheidung, ob oder wie viele Kinder man haben will, eine private bleiben. Der Staat und mit ihm das Steuersystem soll sich aus dieser wohl existentiellsten aller privaten Entscheidung raushalten. Denn die Gebärmütter stehen schon lange nicht mehr im Dienst des Vaterlandes.