AHVplus: Drei Argumente, drei Entgegnungen
Er müsse mir die Sache mit der Altersvorsorge nochmal erklären, sagte mir jüngst ein Politiker. Meine Sichtweise sei ideologisch verstockt, meinte er weiter. Auf inhaltliche Inputs aber warte ich noch immer, und so steht dieser kurze Austausch sinnbildlich für einen Grossteil der Debatte, wie sie in der Abstimmung zur AHVplus Initiative geführt wird. Statt sachlich wichtige Faktoren für die Altersvorsorge – wie Lebenserwartung oder Alterung – zu analysieren, werden lieber Kampfbegriffe aus dem einen ideologischen Schrebergarten in den anderen geworfen. Von “links” nach “rechts”, von “arm” zu “reich”,von “jung” zu “alt”.
Das ist ärgerlich, weil so kaum Raum für Inhalte bleibt. Zeit darum, drei Zahlen und Argumente in der Diskussion um die AHVplus Initiative mal ein wenig nüchtern zu betrachten:
Argument 1: Altersarmut
Tatsächlich sind nach Angaben des Bundes 13,6 Prozent der Rentner arm. Was gerne verschwiegen wird: Im Bericht des Bundes ist auch zu lesen, dass die Armutsquote kein vollständiges Bild abgebe, weil nur die Einkommen, nicht aber die Vermögen einbezogen werden. Gerade im Alter aber wird das Vermögen immer wichtiger. 1,6 Prozent der Rentner leiden gemäss dem Bund an materiellen Entbehrungen, so wenig wie in sonst keiner Altersklasse. Aufgrund der hohen Armutsquote nun gleich allen Rentnern mehr Geld geben zu wollen, wäre also unklug. Unklug wäre aber genauso, zu behaupten, es gäbe überhaupt kein Problem. Die Daten zeigen schliesslich, dass die Altersarmut offensichtlich existiert. Das Fazit daraus sollte vielmehr sein, dass Armut gezielte Unterstützung erfordert. Zielgerichtete Hilfe ist besser, weil damit mehr bleibt für jene, die es brauchen.
Argument 2: Falsche Prognosen
Ungenaue frühere Prognosen lassen einige Befürworter der Initiative auch an den aktuellen Voraussagen zweifeln. Daraus zu schliessen, alles wäre im Lot, wäre aber falsch. Die vorausgesagten Probleme der AHV sind eingetreten, nur halt mit Verspätung. Grund dafür sind neben den zusätzlichen Steuerfranken, welche mittlerweile 26 Prozent der Ausgaben ausmachen, die steigende Erwerbsquote, Zuwanderung und höhere Löhne. Es spricht vieles dafür, dass sich diese Geschichte so nicht mehr wiederholen wird. Die Erwerbsquote, die seit 1980 von 60 auf fast 70 Prozent angestiegen ist, wird nicht mehr ewig ansteigen können. Die Zuwanderung müsste gemäss Experten mit 135’000 Personen Jahr für Jahr weit über dem politisch Machbaren liegen. Studien zeigen, dass die sinkende Arbeitsleistung pro Arbeitnehmer einen Teil der Produktivitätsfortschritte verdeckt. Damit verzichten wir auf einen Teil der Lohnerhöhungen, die mit dem Produktivitätsfortschritt verbunden wären. Das macht es noch unwahrscheinlicher, dass steigende Löhne die Lücke in den AHV-Einnahmen allein werden füllen können.
Argument 3: Das Ausland macht’s besser
Gemäss OECD-Zahlen zur Bruttoerwerbsquote bleiben Schweizern Rentner von ehemals 1’000 Franken Einkommen nur noch 580 Franken im Ruhestand. Das ist ein Einschnitt, und auch im Vergleich zu anderen Ländern sind Schweizer Rentner nicht gerade rosig gebettet, könnte man schlussfolgern. Viele Rentner in der Schweiz profitieren aber von weiteren Leistungen. Weitere OECD-Zahlen zeichnen ebenfalls ein differenzierteres Bild. Andernorts muss eine deutlich geringere Norm-Rentenbezugsdauer finanziert werden können. In Norwegen etwa sind es 14,8 Jahre, in Deutschland 13,9 Jahre und in Dänemark gar nur 13,4 Jahre. Die Schweiz dagegen will sich bereits heute fast 18 Jahre Rente leisten. Und anders als etwa Deutschland, wo längst ein schrittweise steigendes Rentenalter festgelegt wurde, ziert man sich hierzulande noch davor. Wenn statt dem gesetzlichen das effektive Rentenalter angeschaut wird, sieht die Lage etwas anders aus. Anders als etwa in Österreich und Deutschland aber hat sich mit diesen Zahlen die Rentendauer in der Schweiz seit 2000 verlängert und ist nicht stagniert.
Es ist an der Zeit, dass die AHV an die heutigen Gegebenheiten angepasst wird. Wieso beispielsweise nicht die zusätzliche Lebenszeit zwischen Arbeit und Ruhestand aufteilen? Es ist nur ein Vorschlag unter vielen. Aber wir müssen über solche Vorschläge diskutieren können, ohne gleich mit dem ideologischen Gartenhäcksler angegriffen zu werden. Einer nachhaltigen Altersvorsorge wäre dies förderlich. Und es wäre ein erster Schritt hin zu einer Diskussion zur Solidarität zwischen Generationen, die weit über finanzielle Belange hinaus von Bedeutung ist.