Verzockt: Warum sich die Waffenrechts-Gegner täuschen.
Die Waffenrechts-Gegner nehmen an, Schengen sei auch bei einer Ablehnung der Waffenrichtlinie nicht in Gefahr, denn die EU hätte kein Interesse an einem Austritt der Schweiz.
Sie verpokern sich damit.
Die Gegner der Waffenrichtlinie geben sich viel Mühe, die Konsequenzen einer Ablehnung der neuen Waffenrichtlinie kleinzureden. Das Nein-Lager greift auf ein Argument zurück, welches immer wieder hinhalten muss, wenn es um das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union geht: die EU blufft! Oder anders gesagt: Gemäss dem Nein-Lager besteht bei einer Ablehnung der Waffenrichtlinie überhaupt keine Gefahr, dass die Schweiz aus Schengen ausgeschlossen wird. Wie kommen sie zu dieser Aussage?
Die Schweiz kann sich am 19. Mai für eine von zwei Optionen entscheiden: Sie kann die gemeinsam mit den anderen Vertragsparteien und der Europäischen Kommission ausgehandelte Waffenrichtlinie - die notabene diverse Schweizer Sonderwünsche berücksichtigt - ablehnen oder sie kann diese annehmen. Gemäss den Waffenrechts-Gegnern liegt der Ball danach bei der EU, die eine aktive Entscheidung treffen müsste, die Schweiz als Konsequenz der Nicht-Übernahme aus Schengen auszuschliessen. Die Gegner gehen davon aus, dass die EU diesen Schritt nicht wagen wird. Sie nehmen an, dass die EU und die anderen Vertragsparteien ein grösseres Interesse haben, die Schweiz im Schengenraum zu behalten, als für eine kohärente Rechtsordnung einzustehen und Nicht-Übernahme von angepassten Richtlinien zu sanktionieren.
Doch stimmt der aufgezeigte Prozess und vor allem, stimmen die getroffenen Annahmen?
Zuerst zum Prozess: Was passiert wirklich nach dem 19. Mai? Die Gegner haben hier in ihrer Argumentation stark vereinfacht und wichtige Punkte ausgelassen. Es ist eben gerade nicht so, dass ein Entscheid zu einem Ausschluss getroffen werden muss. Dieser findet nämlich gemäss den relevanten Abkommen automatisch statt, es sei denn, die Vertragsparteien und die Europäische Kommission ziehen die Notbremse. Diese Notbremse besteht aus einem einstimmigen Entscheid des Gemischten Ausschusses, der alle Vertragsparteien und die Europäische Kommission zusammenbringt. Statt der EU, die nach dem 19. Mai einen roten Knopf drücken kann, ist es also in Wahrheit die Schweiz, die nach der Abstimmung aktiv werden müsste, wenn sie ein Rausschlittern aus Schengen verhindern möchte. Sie muss nämlich mit allen anderen im gemischten Ausschluss verhandeln und ihnen ein Angebot im Gegenzug für ihre Stimme machen, bis eine einstimmige Lösung gefunden ist. Und das im alles anderen als komfortablen Zeitfenster von 90 Tagen, bei 27 Veto-Positionen!
Der Prozess ist also klar vorgegeben und weicht von der Argumentation der Gegner ab. Doch treffen wenigstens ihre Annahmen zu? Auch hier sind ernsthafte Zweifel angebracht. Um Einstimmigkeit zu erreichen, braucht die Schweiz ein Ja der Europäischen Kommission und von jedem einzelnen Mitgliedstaat. Glauben wir den Gegnern, dass die Schweiz in Schengen bleiben wird, so bedeutet dies, dass im Gemischten Ausschuss eine einstimmige Einigung gefunden werden muss. Das wissen jedoch alle anderen Spieler auch. Und sie werden dies nutzen, um im Gemischten Ausschuss, zusätzlich unterstützt durch den enormen Zeitdruck, der Schweiz nur unter heftigen Konzessionen entgegenzukommen. Halt! Rufen hier die Gegner, das wird nicht passieren, weil auch die anderen Spieler ein Interesse am Verbleib der Schweiz haben. Das steht ausser Frage, der springende Punkt ist jedoch, haben sie ein gleich grosses Interesse? Wohl kaum, denn der Schengenraum ausserhalb der Schweiz würde intakt bleiben. Ausserdem stellt sich die Frage: Was würde eine nachsichtige Verhandlung mit der Schweiz für diese Spieler bedeuten? Die Kommission würde signalisieren, dass viel Raum für nationale Regelverletzungen besteht und somit geradezu zu zukünftigen Verletzungen einladen. Wie der Brexit eindrücklich zeigt, setzt die EU alles daran, einen solchen Eindruck nicht entstehen zu lassen. Ebenso haben die anderen Staaten, die ihre Gesetze auch gegen Widerstand bereits entsprechend angepasst haben, kein Interesse, der Schweiz Regelverstösse zuzugestehen.
Die auf den ersten Blick verlockende Aussage der Gegner, die Schweiz solle nur nicht “blinzeln”, sondern auf Konfrontationskurs gehen, hält einer genaueren Betrachtung somit nicht stand. Erst recht nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass es hier nicht um ein einmaliges, sondern um ein sich wiederholendes Spiel geht. In Zukunft werden sich noch viele vergleichbare Spiele ergeben - mit der Schweiz und anderen Playern. Selbst wenn sich ein hartes Auftreten für die Schweiz einmal kurzfristig lohnen sollte, was im Fall von Schengen nicht zutrifft, so wird sich dieses Auftreten bei der nächsten Spielrunde - zum Beispiel beim Institutionellen Rahmenabkommen - rächen, oder wie es in der Spieltheorie heisst: tit for tat.
Aus diesen 9 Gründen stimmen wir JA am 19. Mai:
Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit: Das sind die Werte, auf denen Europa gebaut ist und das sind auch die Werte der Schweiz. Wir leben in einem Europa des Friedens und der Zusammenarbeit und das ist – gerade auch für einen Kleinstaat wie uns – sehr gut so. Wir sind erfolgreich, weil wir zusammenarbeiten mit unseren Nachbarn. Wir sind deswegen sicherer und freier als die Generationen vor uns. Das Schengen-Abkommen ist das beste Beispiel dafür, dass es Sinn macht, zusammenzuarbeiten: Es bringt uns mehr Sicherheit und mehr Freiheit zugleich.
Auf einem Kontinent, der vor 30 Jahren noch durch einen eisernen Vorhang gespalten war, ist die Öffnung der innereuropäischen Grenzen für uns Bürgerinnen und Bürger eine grosse freiheitliche Errungenschaft. Möglich war diese Errungenschaft dank dem Schengen-System. Unsere Wirtschafts- und Lebensräume sind dadurch zusammengewachsen oder zusammengerückt – durch diese Räume nun eine Schengen-Aussengrenze zu ziehen, würde viel Gutes wieder kaputt machen.
Stimmen wir am 19. Mai NEIN, würde unsere Mitgliedschaft in Schengen rechtlich gesehen nach sechs Monaten automatisch enden. Einzig ein einstimmiger Entscheid aller Mitgliedsstaaten könnte dieses automatische Ende noch abwenden. Die Frist für die Notifizierung läuft bereits Ende Mai 2019 aus, die Frist für die Lösungssuche im gemischten Ausschuss Ende August. Noch einmal 90 Tage später, also pünktlich auf den Weihnachtsverkehr, könnte Schengen entfallen. Wer weiss, vielleicht lässt sich mit viel Glück auf politischem Wege eine vorübergehende Lösung finden – aber sicher ist, dass die Schweiz sich freiwillig in eine Situation begibt, in der sie unter extremem Zeitdruck wäre, in der extreme Rechtsunsicherheit herrschen würde und in der sie sich in extremer Abhängigkeit befände. Sie wäre dem Veto jedes einzelnen Mitgliedsstaates ausgeliefert. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass wir uns selber in diese schlechteste aller denkbaren Verhandlungspositionen manövrieren.
Dank Schengen können wir uns zwischen 26 europäischen Staaten frei und unkompliziert fortbewegen und reisen – ohne stundenlange Staus, Warteschlangen, und stationäre Personenkontrollen an den Grenzen. Für über zwei Millionen Menschen, die täglich in beide Richtungen über die Schweizer Grenze gehen – zum Arbeiten oder auch für ein Ausflügli – ist dies eine enorme Erleichterung. Mit einem NEIN am 19. Mai könnte die Schweizer Grenze zur Schengen-Aussengrenze werden – mit systematischen Kontrollen sämtlicher Reisender, langen Wartezeiten beim Grenzübertritt und somit vielen Mühseligkeiten.
Schengen bringt Sicherheit: Dank dem Schengener Informationssystem (SIS II) können innert kürzester Zeit gesuchte Personen oder z.B. auch gestohlene Fahrzeuge international zur Fahndung ausgeschrieben werden. Über das System erhalten wir zudem auch wichtige Informationen über gestohlene Waffen, um so den illegalen Waffenhandel zu bekämpfen. Die Nutzung der Fahndungsdatenbank durch die Schweiz führt fast täglich zu einer Verhaftung einer gesuchten Person.
Verbrechen machen nicht an Landesgrenzen halt. Heutzutage handeln die organisierte Kriminalität und Terrornetzwerke länderübergreifend. Wenn die Polizeibehörden der einzelnen Staaten nur für sich selber schauen, dann begeben sie sich gegenüber dem grenzüberschreitenden Verbrechen in einen unaufholbaren Nachteil. Nur mit einer engen Zusammenarbeit ist dem Verbrechen beizukommen. Diese Zusammenarbeit ist dank Schengen gewährleistet.
Die Schengen-Staaten haben eine gemeinsame Richtlinie zum Waffenrecht. Diese wurde kürzlich gemeinsam überarbeitet. Die Schweiz konnte bei der Ausarbeitung der neuen Richtlinie mitreden und in den Verhandlungen wichtige Zugeständnisse erreichen: Halbautomatische Waffen werden zwar grundsätzlich verboten, aber Armeeangehörige dürfen ihre Dienstwaffe auch weiterhin behalten und zu Hause aufbewahren. Und Sportschützen müssen neu einfach nachweisen, dass sie einem Verein angehören oder zumindest regelmässig schiessen. Wir halten diese Änderungen für moderat und sinnvoll – und vor allem wäre es fahrlässig, für solche marginalen Anpassungen, Schengen aufs Spiel zu setzen.
Das Dublin-Abkommen, welches Teile des europäischen Asylwesens regelt, ist mit dem Schengen-Abkommen verbunden. Fliegen wir aus dem einen, entfällt automatisch auch das andere. Gemäss dem Dublin-Abkommen kann jeder Asylbewerber im Schengen-Raum nur ein Asylverfahren durchlaufen. Wären wir nicht mehr dabei, könnten alle Asylsuchenden, die in einem Dublinstaat abgewiesen werden, danach noch in der Schweiz Asyl beantragen, obwohl die Chancen auf Asyl auch hier kaum vorhanden wären. Das Dublin-System ist nicht perfekt, es hat grundlegende Mängel. Doch ein noch viel grösserer Mangel als ein mangelhaftes System wäre gar kein System.
Am 19. Mai stimmen wir auch generell über die Zukunft der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Europa ab. Würde wir aus Schengen und Dublin rausfliegen – und damit müssten wir bei einer Ablehnung rechnen – würden auch die Bilateralen als Ganzes gefährdet werden. Stationäre Grenzkontrollen würden den Binnemarktzugang erschweren. Vor allem aber würde die Errichtung einer Schengen-Aussengrenzen mitten durch gewachsene Agglomerationen, Lebens- und Arbeitsräume die Interessen der Bevölkerung in der Grenzregionen schwer gefährden. Sie wären in ihren Möglichkeiten zu arbeiten, ihre Dienstleistungen anzubieten, einzukaufen und ihr Familienleben zu pflegen empfindlich eingeschränkt. Die Interessen dieser Bevölkerung würden die künftige Beziehungen der Schweiz und der EU prägen. Jede Weiterentwicklung dieser Beziehung würde die Frage wieder aufbringen, wie die Schweiz denn das Leben der grenznahen Bevölkerung zu erleichtern gedenke. Bevor die Schweiz auf ihren Schengen-Entscheid nicht zurückkäme, kämen die Beziehungen zu Europa keinen Zentimeter vom Fleck.