Nerd-Alarm! Argumente gegen die Kündigungsinitiative.
So weit das Auge reicht.
Die Abstimmungsunterlagen sind eingetroffen. Zwei Wochen vor dem Abstimmungssonntag liefern wir dir unser langes Argumentarium. Polit-Trashtalk und Floskeln sind gut und recht, wir aber wollen es genauer wissen: Mit unserem Argumentarium XL kannst du dich über jedes noch so genaue Detail zur Kündigungsinitiative informieren. Du willst wissen, warum die Guillotine-Klausel so wichtig ist, weshalb die Personenfreizügigkeit eine liberale Errungenschaft ist und wieso die Kündigungsinitiative der grösste planwirtschaftliche Angriff auf die Schweiz ist? Das alles und mehr findest du hier. Mach dich fit für ein NEIN!
Auswirkungen der Kündigungsinitiative auf die Schweizer Europa- und Migrationspolitik
Der eigentliche Hammer ist versteckt. Er kommt erst in den Übergangsbestimmungen, vergraben in einem grotesk langen Artikel (Art. 197, Ziff. 121) und wird gern übersehen. Die Initiative fordert Neuverhandlungen der Bilateralen I für einen Zeitraum von nur 12 Monaten. Nach diesem Zeitfenster tritt das vorgeschobene Ziel, eine Alternative zur Personenfreizügigkeit zu verhandeln, wieder ausser Kraft und an seine Stelle tritt das eigentliche Ziel der Initiative, die Kündigung der Personenfreizügigkeit.
Schon im Rahmen der Umsetzung von Artikel 121a BV (MEI) hat der Bundesrat Gespräche über eine Neuverhandlung der PFZ mit der EU geführt, diese haben jedoch zu keinem konkreten Ergebnis geführt. Die EU hat trotz intensiver Bemühungen der Schweiz keine Bereitschaft gezeigt, die Personenfreizügigkeit neu zu verhandeln. Weil daher 12 Monate unter keinen Umständen genügen, diesen zentralen Vertrag innerhalb der Bilateralen neu zu verhandeln, der die substantiellsten Interessen der EU an diesen Verträgen sichert und schon bei der Aushandlung der Verträge das wichtigste pièce de resistance zwischen der EU und der Schweiz war, ist auch den Initianten klar, dass die Kündigung das eigentliche Ziel ihrer Initiative ist.
Weil die anderen Verträge der Bilateralen I mit der Personenfreizügigkeit durch eine Guillotine-Klausel verbunden sind, werden diese automatisch mit gekündigt, wenn die Schweiz einen von ihnen kündigt.
Das ist also, was die Initiative im Kern will: Die Kündigung der Personenfreizügigkeit und mit ihr die der Bilateralen I durch die Schweiz - ohne, dass ein alternatives Vertragswerk bereits bestünde oder bereits in Verhandlung wäre, oder dass ein solches aus politischen, juristischen oder ökonomischen Gründen plausibel erscheinen könnte oder dass die Initianten wenigstens selber eine Vorstellung eines solchen Vertragswerkes hätten. Es wäre ein hartes und chaotisches Ausscheiden aus dem wichtigsten Markt für die Schweiz.
Bei dieser Ausgangslage kann also mit grosser Sicherheit gesagt werden: Der Bilaterale Weg, den das Schweizer Stimmvolk, das Parlament, alle grossen Parteien, die Schweizer Regierung und die besten ihrer Diplomaten seit den frühen 90er Jahren aufgebaut haben, dem das Schweizer Stimmvolk drei Mal zugestimmt hat (1. 2000: Bilaterale I // 2. 2005: Erweiterung auf 10 neue Mitgliedstaate // 3. 2009: Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien), und der uns grossen Wohlstand gebracht hat (s. unten), würde innert weniger Monate in die Tonne getreten. Eine Alternative dazu schlägt die SVP nicht vor. Sie hofft einfach, dass es keine Alternative brauchen werde, weil sie von der EU eine Ausnahme gegenüber der Schweiz erwartet von einem Mantra, das EU gegenüber der Schweiz seit den frühen 90er Jahren predigt: Keinen Zugang zum EU-Binnenmarkt, ohne dass auch die Gegenleistung der Personenfreizügigkeit in die Schweiz zu bestehen.
Es ist wie ein schlechtes Déjà-vu: Auch als 2019 über den Verbleib im Schengen-System abgestimmt wurde, wurde ohne weiteres in Kauf genommen, dass die Schweiz innert Monaten aus einer für sie sehr wichtigen internationalen Kooperation rausschlittert. Ohne, dass klar war, wie die Interessen der Schweiz nach diesem Ausscheiden gewahrt werden könnten. Es wurde einfach mal auf das extrem unwahrscheinliche Szenario gewettet, dass das schon nicht passieren werde.
Wir sollten auch dieses Mal wieder die Weitsicht haben, uns gegen diese leichtsinnige Wette zu entscheiden. Die Wette war damals und ist diesmal so leichtsinnig, als würde man sich selber unter eine Guillotine legen. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Das Schengen-System sieht eine Guillotine mit Zeitschaltuhr vor. Wenn die Schweiz das Schengener Recht nicht übernimmt, dann schlittert sie automatisch nach 90 Tagen raus. Die Personenfreizügigkeit hingegen kann man so lange neu verhandeln (oder jedenfalls zu verhandeln versuchen, denn zum Verhandeln brauchts ja zwei), wie man will, ohne dass die Guillotine niedersaust. Im vorliegenden Fall ist es nun die Initiative selber, die mit ihren Übergangsbestimmungen eine Zeitschaltuhr stellt und zwar auf nur gerade 13 Monate. Nähmen wir die Initiative also an, dann würden wir nicht nur selber die Guillotine wählen, sondern auch bestimmen, wie schnell sie niedersaust.
Noch zu einer anderen Abstimmung ist diese hier ein schlechtes Déjà-vu: zur Masseneinwanderungsinitiative. Diese beiden Volksinitiativen gehören zusammen. Diese hier wäre ohne jene undenkbar, sie ist eigentlich ihre Durchsetzungsinitiative. Die Masseneinwanderungsinitiative (2014) funktionierte auf der Basis desselben Tricks wie die Ausschaffungsinitiative (2010). Beide verschleierten dem Stimmvolk, worum es eigentlich ging. Die Ausschaffungsinitiative verschleierte, dass es um den flagranten Bruch international geschützter Menschenrechte ging. Darum brauchte sie dann eine Durchsetzungsinitiative (2016), die diesen Rechtsbruch offen forderte (und unter anderem auch deshalb an der Urne scheiterte). Die Masseneinwanderungsinitiative verschleierte, dass es ihr um die Kündigung der Personenfreizügigkeit und damit um die Kündigung der Bilateralen I ging. Die Initianten stritten das im Vorfeld sogar explizit ab - um im Nachhinein zu sagen, dass sei ja wohl selbstverständlich gewesen, dass es ihnen eigentlich darum ging. Sie haben daher wieder eine Durchsetzungsinitiative lanciert, die noch weiter geht als die Masseneinwanderungsinitiative von 2014.
Nun wird endlich klar, dass es ihnen schon immer um die Kündigung der Personenfreizügigkeit gegangen ist. Abgesehen davon, dass Durchsetzungsinitiativen per se eine problematische Entwicklung sind und das Gefüge der Schweizer Demokratie gefährden, würde diese Durchsetzungsinitiative noch weiteren Schaden herbeiführen, als bloss das Ende der Bilateralen I. Denn die Masseneinwanderungsinitiative enthielt noch andere schlechte Ideen, die erst mit der Kündigungsinitiative zur Entfaltung kommen könnten. Kurz: Die Initiative ist die böse Zwillingsschwester der Masseneinwanderungsinitiative. Zusammen sind sie ein erstickendes Korsett für den Werk- und Forschungsplatz Schweiz.
Die Initiative fordert explizit, dass das Personenfreizügigkeitsabkommen spätestens 12 Monate nach Annahme der Initiative mit dem Einverständnis der EU ausser Kraft gesetzt sein soll. In diesem Fall - so die Vorstellung der Initianten - käme die Guillotine-Klausel nicht zur Anwendung und die Bilateralen I würden weiterhin bestehen.
Dies ist für die Schweiz eine denkbar schlechte Ausgangslage, um Verhandlungen zu starten, da das (äusserst schwer zu erreichende) Verhandlungsziel von Anfang an genau vorgegeben und bekannt gemacht wird. Die Schweizer Verhandlungsführer haben somit einerseits keinerlei Spielraum, den sie bei dieser Verhandlung nutzen können, um die Kräfteverhältnisse zugunsten der Schweiz zu beeinflussen. Jede Abweichung von diesem klar formulierten Ziel - die Beendigung der Personenfreizügigkeit - könnte politisch als Ignoranz gegenüber dem Volkswillen taxiert werden. Andererseits gibt die Initiative nicht vor, wie gross die Konzessionen sein dürfen, die die Schweiz für eine Fortführung der Bilateralen I eingeht. Damit ist die Schweiz der EU und ihren Forderungen komplett ausgeliefert, möchte sie den in der Initiative festgehaltenen Verhandlungsauftrag realisieren. Hinzu kommt natürlich noch, dass die Schweiz eine Zeitschaltuhr gegen sich selber gestellt hätte.
Die Kündigungsinitiative will ein Kontingents-System, bürokratischer, als es die Schweiz je hatte
Die Masseneinwanderungsinitiative war eine seltsame Angelegenheit: Sie legte nicht Ziele fest – wie es in Verfassungsartikeln üblich ist –, sondern Mittel. Sie sagte nicht, ob und wie viel Migration die Schweiz haben sollte, sie legte fest, mit welchen Mitteln diese Migration zu steuern sei: Nämlich mit dem planwirtschaftlichen Instrument der Kontingente. Kontingente schaffen alle möglichen Arten von Problemen, aber dieses problematische Instrument ist seit der Annahme der Initiative nicht ausgeweitet worden. Gegenüber Zuwanderern aus Drittstaaten, die aus wirtschaftlichen Gründen zugelassen werden, wurden sie schon vorher angewandt (und verursachten schon vorher Probleme), gegenüber Personen aus der EU, die aus wirtschaftlichen Gründen zugelassen werden, dürfen sie heute nicht angewandt werden. Denn das würde gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen verstossen. Die Kündigungsinitiative verlangt nun, diese Abkommen aus der Welt zu schaffen, um den Weg frei zu machen für die Bürokratie, welche die Masseneinwanderungsinitiative wollte. Wird das Personenfreizügigkeitsabkommen gekündigt, bleibt uns keine andere Wahl, als uns mit einem schwerfälligen und bürokratischen Monster namens Kontingente auseinanderzusetzen. Dies wäre übrigens nicht ein Zurück in eine vermeintlich heile Vergangenheit von früher. Abgesehen davon, dass sie das überhaupt nie war, hätten wir noch ein viel bürokratischeres System als damals: Es wären nicht nur jene Zuwanderer Kontingenten unterworfen, die der Erwerbstätigkeit wegen zugelassen werden, sondern sämtliche Zuwanderer; die Studierenden, die Rentner, die Familienmitglieder, die humanitäre Migration.
“Planwirtschaft” ist ein politischer Kampfbegriff. Oft wird er ungenau und sorglos verwendet, auch um eine Massnahme der sozialen Marktwirtschaft zu diskreditieren, die man selbst ablehnt. Es ist daher wichtig, klar zu stellen, was hier mit Planwirtschaft gemeint ist: Planwirtschaft ist die Zuordnung von Produktionsfaktoren durch einen zentralisierten, hierarchischen Zuordnungsmechanismus, der an die Stelle des dezentralisierten, horizontalen Zuordnungsmechanismus des Marktes mit seinen unendlich vielen Preis- und Nachfrageinformationen tritt. Die Planwirtschaft war das zentrale Problem des Kommunismus. Der Versuch, Informationen zentral zusammen zu ziehen und effizient hierarchisch aufgrund dieser Informationen zu entscheiden, hat keine Chance gegen die unendlich viel findigere, schnellere und effizientere Produktion und Verteilung von Informationen, die ein Markt hervorbringen kann. Hinzu kommt, dass Informationen systematisch gefiltert werden, um in ein politisches Wunschszenario zu passen und dass gut organisierte Interessensgruppen die Informationslage und die Sichtbarkeit bestimmter Informationen systematisch beeinflussen können.
Warum sind nun Kontingenge Planwirtschaft? Weil sie dazu führen, dass ein Produktionsfaktor - hier der Produktionsfaktor Arbeit soweit diese importiert wird - nicht mehr durch den Markt zugeordnet wird, sonder durch eine zentrale Bürokratie. Es ist wäre künftig eine zentrale Bürokratie, die festlegt, wieviel von dem Produktionsfaktor in einem Jahr zur Verfügung steht, und wer unter den konkurrierenden Arbeitgebern davon erhält.
Gegenüber Personen, die zur Familienzusammenführung oder aus humanitären Gründen zugelassen werden, dürften Kontingente eigentlich gar nicht eingesetzt werden, das würde gegen international geschützte Menschenrechte verstossen. Obwohl auch die Masseneinwanderungsinitiative Kontingente vorschrieb, hat das Parlament nie auch nur einen Versuch unternommen, solche zusätzlichen Kontingente einzuführen. Das würde sich mit der Annahme der Kündigungsinitiative wohl ändern - jedenfalls gegenüber Europäerinnen und Europäern. Nicht nur die Zuwanderung zur Erwerbstätigkeit würde künstlich verknappt, sondern auch jene zum Familiennachzug. Partnerinnen und Parnter und minderjährige Kinder müssten so unter Umständen lange Zeit warten, bis ein Kontingentsplätzchen frei wird und sie in der Schweiz Wohnsitz nehmen können. Obwohl klar ist, dass sie am Ende doch in die Schweiz einwandern würden. Die Umsetzung der MEI und der Kündigungsinitiative in Kombination würde so zu einer unmenschlichen, schikanösen und dennoch hilf- und nutzlosen Verzögerungstaktik durch die Behörden führen. Es wäre Gift für viele transnationale Familien und Gift für den Werkplatz Schweiz.
Wo bisher der Markt dezentral entscheiden konnte, würde neu eine zentralisierte Bürokratie viele tausende Entscheide über mögliche Arbeitsverhältnisse aus der Amtsstube heraus fällen, ohne Kenntnisse über diese Arbeitsverhältnisse zu haben. Es wäre mit Abstand der grösste Bürokratisierungs- und Zentralisierungsschub in der Geschichte der Schweiz, er brächte notwendigerweise eine grosse Wertvernichtung mit sich. Sie vernichtet Wert, der hätte sein können, Einkommen, Aufträge, neue Unternhemen, neue Innovationen, die hätten sein können.
Einer der Produktionsfaktoren ist Arbeitskraft. Migration bedeutet somit auch (jedenfalls soweit sie zu einer Zulassung zum Arbeitsmarkt führt), den Import des Produktionsfaktors Arbeit. Dieser wird dann durch den Markt zugeordnet, wenn Arbeitgeber entscheiden können, ob sie eine Arbeitskraft importieren wollen oder nicht. Das gilt auch dann noch, wenn diese Möglichkeit des Imports von Arbeitskraft von bestimmten Bedingungen abhängig ist (etwa orts- und branchenüblichen Arbeitsbedingungen). Das wäre dann soziale Marktwirtschaft.
Das ändert sich grundlegend, sobald der Staat nicht einfach die Bedingungen reguliert, unter denen ein Produktionsfaktor importiert werden darf, sondern die Menge, zu dem dieser importiert werden darf. Entscheidend ist dann nicht mehr die tatsächliche Nachfrage nach Arbeit, sondern der politische Wille darüber, wie gross die Nachfrage sein sollte. Entscheidend dafür, tatsächlich einen Arbeitnehmer zu erhalten, ist nicht mehr, ob eine Arbeitgeberin eine attraktive Stelle anzubieten hat, sondern ob noch ein Kontingentsplatz frei ist oder ob die zuständige Behörde überzeugt werden kann, den Kontingentsplatz für das eigene Geschäft herauszurücken.
Es ist ein System, das ganz andere Fähigkeiten belohnt, als gute, interessante oder erfüllende Arbeitsplätze zu schaffen. Es belohnt die Fähigkeit, bei Behörden Druck zu machen und für die eigene Branche zu lobbyieren. Es ist ein System, das in der Tendenz die grossen und die alteingesessenen Unternehmen und Wirtschaftszweige belohnt und die kleinen und jungen bestraft. Ein System,das etablierte Tätigkeiten zulässt bzw. bevorteilt, und neue, innovative Tätigkeiten ausschliesst bzw. benachteiligt.
So hat denn auch der Bundesrat in der Vergangenheit vor allem gut organisierte, aber strukturschwache Branchen wie die Bauwirtschaft, das Gastgewerbe oder die Landwirtschaft bei der Kontingentierung berücksichtigt, was in diesen Bereichen nicht nur für einen Nachschub an billigen Arbeitskräften gesorgt hat, sondern so auch den Druck reduziert hat unproduktive Strukturen wettbewerbsfähiger machen zu müssen. Während die Personenfreizügigkeit die Struktur des Arbeitsmarktes verbessert und modernisiert hat (s. unten), hat das Vorgängersystem also zur Strukturerhaltung beigetragen.
Während die Personenfreizügigkeit also ihren Beitrag dazu leistet, dass die Schweiz zu den wettbewerbsfähigsten Werkplätzen der Welt gehört, würde ein Durchbruch der Planwirtschaft die Schweiz zu einem behäbigen, bürokratischen “das haben wir so noch nie gemacht”- und “wo kämen wir denn hin?”-Ort machen. Ein Ort der verbrannten Erde ist für jede Form von Innovation. Und zwar auch schon dann, wenn man den Verlust des sektoriellen Zugangs zum Binnenmarkt noch gar nicht mitberücksichtigt.
Die Migrationspolitik, wie sie vor der Personenfreizügigkeit bestand, war geprägt durch ein enorm grosses Machtgefälle zwischen Arbeitgebern KI und ihren (ausländischen) Mitarbeitenden. Weil der Verbleib im Land an eine Arbeitsstelle (oft an eine bestimmte Arbeitsstelle) gekoppelt war, hatte der Arbeitgeber stets Kontrolle über den gesamten Lebensentwurf seiner Angestellten. Er konnte ihnen jederzeit damit drohen, dass sie nicht nur ihre Arbeit, sondern gleichzeitig auch ihre Aufenthaltserlaubnis verlieren. Besonders gross wurde dieses Machtgefälle erfahrungsgemäss in Bereichen, in denen die Nachfrage nach Arbeitnehmern stieg, aber aufgrund weiterhin restriktiver Kontingente auf offiziellem Weg keine neuen ausländischen Arbeitnehmer zugelassen wurden. In diesen Bereichen haben sich in der Vergangenheit Unternehmen oftmals über Schwarzarbeit ausgeholfen, wobei Schwarzarbeit nicht nur die Stellung von inoffiziell Arbeitenden selbst weiter schwächt, sondern auch z.B. die Löhne von Einheimischen. In den offiziellen Migrationszahlen der 1980er und 1990er Jahre werden Schwarzarbeiter übrigens nicht(!) aufgeführt Seit der Einführung der PFZ ist die Schwarzarbeit in der Schweiz rückläufig. Kündigen wir die Personenfreizügigkeit und kehren zum alten System zurück, schaffen wir damit wieder dieses Machtgefälle, von dem wir uns eigentlich zum Glück verabschiedet haben.
Das Abkommen zur Personenfreizügigkeit war aber auch für inländische Arbeitnehmende ein grosser Fortschritt. Die Personenfreizügigkeit mit der EU schuf den Hebel, um Lohndumping nicht nur von ausländischen, sondern vor allem auch von Schweizer Arbeitgebenden den Riegel vorzuschieben: Denn ohne das Abkommen mit der EU, gäbe es auch keine flankierenden Massnahmen. Konkret: Es gäbe keine regelmässigen Kontrollen zur Einhaltung schweizerischer Arbeits- und Lohnbedingungen. Und es gäbe weniger Gesamtarbeitsverträge und höhere Hürden für deren Allgemeinverbindlichkeit. Dass gerade die tiefen Löhne in den letzten Jahren überdurchschnittlich angestiegen sind und wir in der Schweiz keinen grossen Tieflohnsektor kennen, ist auch das Verdienst der Personenfreizügigkeit und der mit ihr verbundenen flankierenden Massnahmen.
Die Kündigungsinitiative will wichtige Freiheiten abschaffen
Was die Personenfreizügigkeit uns allen geschenkt hat, ist ein Eintrittsticket. Ein Eintrittsticket in den grössten Binnenmarkt der Welt für uns Schweizerinnen und Schweizer und ein Eintrittsticket in einen der attraktivsten und wettbewerbsfähigsten Arbeitsmärkte der Welt (die Schweiz), für Europäerinnen und Europäer. Was die Initiative nun will, ist uns uns um dieses Ticket zu enteignen. Entschädigungslos. Wenn du EU-BürgerIn wärst; welchen Geldbetrag würdest du dem Eintrittsticket in den Schweizer Arbeitsmarkt beimessen? Für wieviel wärst du allenfalls bereit, dieses Ticket zu verkaufen? Für 1500.-? Für 15000.-? Die Bewertung wäre wohl sehr individuell, aber aufgerechnet auf 470 Millionen Bürgerinnen und Bürger würde auch bei sehr unterschiedlicher Bewertung eine gigantische Summe resultieren. Um diesen Wert sollen die EU-Bürgerinnen von der Schweiz enteignet werden. Neu sollen sie kein Eintrittsticket mehr haben, kein Recht mehr darauf, hier zu arbeiten, sondern nur noch die Möglichkeit, eine Behörde um die Gnade zu bitten, hier arbeiten zu dürfen. Einmal so überlegt; wie könnte die Schweiz der EU im Gegenzug zu dieser Enteignung etwas anbieten, was ähnlich wertvoll ist? Sie kann es nicht. Diese einfache Überlegung zeigt, dass kein alternatives Angebot die Schieflage in der Beziehung zu Europa wieder gerade rücken könnte und dass die Initiative auch auf individueller Ebene ganz realen Wert einfach entziehen würde.
Die Personenfreizügigkeit gibt nicht nur Europäerinnen und Europäer ein Eintrittsticket für den Schweizer Arbeitsmarkt, sondern auch umgekehrt den Schweizerinnen und Schweizern ein Eintrittsticket nach Europa. Und dieses Ticket ist extrem populär. Es wird von einem sehr grossen Anteil der Bevölkerung genutzt. Heute befinden sich über 5 Prozent der Personen mit Schweizer Bürgerrecht im EU-Ausland. Das Ticket gibt ihnen ein Recht, zu leben und zu arbeiten, wo sie sind und es gibt ihnen Sicherheit. Nun ist es zwar nicht so, dass bei einer Annahme der Initiative das alles Knall auf Fall nicht mehr möglich wäre. Aber das Ticket wäre weg, und damit die Sicherheit. Alles würde sehr viel mühsamer und bürokratischer und alles wäre von der Gnade einer Ausländerbehörde abhängig. Statt Träger von Rechten zu sein, statt ein Eintrittsticket in den Markt zu haben, würden wir zu Bittstellern.Wir würden ein wenig abhängiger. Wieviel ist dir dieses Ticket in den europäischen Binnenmarkt wert? 1500.-? 15000.-? Vielleicht kannst du dir überhaupt nicht vorstellen, je im Ausland zu leben. Dann ist dein Ticket nichts wert. Oder vielleicht bist du so gut qualifiziert, dass man dich eh überall auf der Welt mit Handkuss nimmt. Dann ist das Ticket nur die paar hundert Euro Gebühren und die paar Stunden Warterei auf den Gängen der Behörde wert, die du dank der Personenfreizügigkeit sparst. Aber für die allermeisten von uns besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas Auslandserfahrung sammeln wollen und dabei nicht einfach auf die Gnade der Behörden rechnen können. Für uns hat dieses Ticket einen ganz realen Wert. Es sichert uns eine Option, eine Karrierenmöglichkeit oder einfach eine potentielle bereichernde Lebenserfahrung, die wir nicht missen wollen, die uns ganz reales Geld wert ist.. Um diese Chance würden wir uns selbst enteignen. Und wir würden im Gegenzug dazu nichts anderes erhalten, ausser einem enormen Bürokratie- und Zentralisierungsschub im Inland.