Ein Hohn für den Menschenrechtsschutz: Der Bundesrat schwächt den EGMR und die Demokratie

Einstehen für den Schutz der Menschenrechte

Medienmitteilung

Mit seiner Reaktion auf den EGMR-Entscheid zu den KlimaSeniorinnen schwächt der Bundesrat den EGMR und damit die Menschenrechte und die Demokratie. Der EGMR tut seinen Job, und das hat noch nie allen gepasst. Wer ihn deshalb angreift und die Verbindlichkeit seiner Urteile in Frage stellt, macht sich zum Wasserträger der EGMR-Abschaffer. Damit rüttelt der Bundesrat ausgerechnet zum 50-jährigen Jubiläum der Schweizer Ratifizierung der EMRK am Fundament des Menschenrechtsschutzes.

Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind verbindlich. Darauf beruht die Schutzwirkung dieser weltweit wichtigsten internationalen Institution zum Schutz der Menschenrechte.

Nur ein Lippenbekenntnis

Doch heute ist der Bundesrat in grossen Teilen der populistischen Erklärung des Parlaments gefolgt und hat damit die Legitimität des EGMR unterminiert. Der Bundesrat schwächt damit die Menschenrechte und die Demokratie.

Der Bundesrat behauptet salopp, dass das EGMR-Urteil bereits umgesetzt sei. Das ist klimapolitisch schlicht falsch. Mit diesem Vertragsbruch – denn nichts anderes ist das Ignorieren eines Urteils des Gerichtshofs – wird er zum Vorbild für Autokraten, autoritäre Politiker und Populisten überall in Europa. Mit Handkuss werden sie auf das Manöver des Schweizer Bundesrates verweisen, wenn ihnen in Zukunft ein EGMR-Urteil politisch nicht gefällt.

Das grundsätzliche Bekenntnis zum EGMR verkommt somit zum reinen Lippenbekenntnis. Der Schaden ist längst angerichtet.

EGMR: “Weite Auslegung” seit 1959

Der Bundesrat kritisiert in seiner Stellungnahme die vermeintlich “weite Auslegung” der EMRK durch den Gerichtshof. Es wird zum Tabubruch stilisiert, was doch die Hauptaufgabe des EGMR ist: Wächter und Impulsgeber zu sein für unsere Menschenrechte.

Der EGMR tut nichts Neues, sondern nur seinen Job: Er hütet über die Menschenrechte und passt die Rechtsprechung fortlaufend an. So ist es ihm immer wieder gelungen, neue Standards im Menschenrechtsbereich zu setzen, die heute als selbstverständlich gelten. Auch für die Schweiz gab er wichtige Impulse, besonders bei den Verfahrensgarantien, etwa im Strafverfahren. Auch der Grundrechtskatalog unserer Bundesverfassung ist sehr stark von der Rechtsprechung des Gerichtshofes geprägt.  Liberale Errungenschaften, die heute als selbstverständlich angesehen werden. Damals? Richtig, “weite Auslegung”, seit 1959.

Diese Wächterrolle des EGMR hat noch nie allen gepasst. Die SVP wollte noch nie etwas von der Menschenrechtskonvention wissen. Wer nun also den EGMR unterminiert, weil einem mal ein Entscheid nicht passt, schwimmt im populistischen Fahrwasser der Menschenrechtsverächter.

SVP-Diskurs normalisiert

Dass inzwischen auch das Parlament und sogar der Bundesrat den EGMR unterminieren, zeigt, wie krass sich der SVP-Diskurs trotz der klaren Ablehnung der Selbstbestimmungsinitiative 2018 normalisiert hat. Es wirkt fast so, als hätte es die krasse Absage von 66,2 Prozent gegen eine solche Politik damals nicht gegeben.

Das muss uns zu denken geben. Denn die SVP will weit mehr: Am 24./25. September entscheidet das Parlament über eine Motion, die die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gleich ganz aufkündigen will. Eine zweite Motion mit derselben Forderung wurde von Vertretern der Mitte, der FDP und der SVP eingereicht.

Operation Libero wehrt sich gegen diese Angriffe auf den schweizerischen und den europäischen Menschenrechtsschutz. In einem offenen Brief fordern wir gemeinsam mit 28 anderen Schweizer NGOs das Parlament und den Bundesrat auf, verantwortungsvoll zu handeln. Die Zivilgesellschaft ist bereit. Das klare SBI-Nein hat gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese wichtige Menschenrechts-Institution mitträgt, und sich nicht von den Populisten blenden lässt. Wir wünschen uns von der Politik, dass sie dasselbe tut.

Stefan Manser-Egli
Co-Präsident Operation Libero

Simon Städeli
Leiter Kommunikation

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EGMR