Emoji-Babys

Einbürgerung: Die Schweiz ist längst mehr als nur Rütlischwur

Überlegungen eines typischen Schweizers

Ameen ist als typischer Schweizer auf die Welt gekommen. Doch anders als die anderen Babys im Bündner Spital hatte er keinen Anspruch auf den Schweizer Pass. Ein persönliches Plädoyer für die erleichterte Einbürgerung der zweiten Generation.

Im Fontana Spital Chur erblickte ich das Licht der Welt und schnupperte das erste Mal die wundervolle Bündner Luft. Da ich in einem 2’500-Seelendorf nahe der Hauptstadt aufgewachsen bin, folgten auf die Bündner Luft auch die Bündner Berge und Wälder, Bündner Fussball- und Theatervereine und, wie könnte es anders sein, der unverkennbare Bündner Dialekt. Auf Letzteres werde ich natürlich auch in jeder Stadt ausserhalb Graubündens aufmerksam gemacht.

Das hört sich nach einem typischen Schweizer Bürger an, nicht wahr? Dies liegt wohl an der Tatsache, dass ich ein typischer Schweizer Bürger bin. Wie könnte ich denn etwas anderes als ein Schweizer sein, wenn ich hier geboren und aufgewachsen bin, praktisch jede Erfahrung meines Lebens hier gesammelt habe und gar keine andere Lebenssituation kenne?

Ein kleines Detail noch: Mein Name ist Ameen und beide meine Eltern stammen aus dem Irak. Ich bin absurderweise als Ausländer auf die Welt gekommen. Die Babys im Spital links und rechts von mir waren alle Schweizer*innen, ohne dass sie oder ich bis zu diesem Zeitpunkt etwas anders (oder überhaupt etwas) gemacht haben.

Was macht also ein*e Schweizer*in aus? Wie waren die anderen Babys besser integriert als ich? Wie haben sie sich den Schweizer Pass verdient, ich aber nicht?

Ameen Mahdi
Ameen Mahdi

Secondas und Secondos sind Schweizer*innen. Punkt.

Das Schweizer Bürger*innenrecht benötigt eine Auffrischung. Die Schweiz ist längst mehr als nur Rütlischwur. Rund vier von zehn Personen in der Schweiz weisen einen Migrationshintergrund der ersten oder zweiten Generation auf. Es erklärt sich von selbst, dass eine solch hohe Zahl nunmal einen wesentlichen Teil dieses Landes darstellt. Umso wichtiger, dass die Schweiz nun überdenkt, wer unter welchen Bedingungen den Schweizer Pass und somit die gleichen politischen Rechte erhält.

Secondas und Secondos sind hier aufgewachsen und haben ihr Leben in der Schweiz verbracht. Sie leisten somit einen enormen Beitrag an das Land – nicht nur finanziell, sondern auch kulturell, was nicht minder wichtig ist. Unter anderem deshalb liegt nun eine Motion der Ständerätin Lisa Mazzone bei der Ständeratskommission auf dem Tisch. Diese fordert, dass sich die zweite Generation erleichtert einbürgern kann.

Eine erleichterte Einbürgerung der zweiten Generation ist das Mindeste für ein zeitgemässes Bürger*innenrecht. Doch der (hauptsächlich konservative) Bundesrat lehnt dies aktuell ab. Er scheint nicht zu verstehen, dass Secondas und Secondos genauso schweizerisch sind, wie er selbst.

Nicht zuletzt dient die Einbürgerung sogar einer schnelleren wirtschaftlichen Integration, wie Studien bereits beweisen.

Frauenstimmrecht als Lehre

Eine Reform beim Bürger*innenrecht ist gewiss keine Neuheit für die Schweiz. Seit 1971 haben Frauen in der Schweiz das Stimm- und Wahlrecht. Der Weg dorthin war unnötig lange und hürdenreich. Insbesondere konservative Kräfte, unter anderem die heutige SVP, leisteten damals grossen und allerspätestens im Nachhinein wirklich peinlichen Widerstand. Eines von vielen Beispielen dafür ist dieses Plakat aus dem Jahr 1920:

Ein Plakat gegen das Frauenstimmrecht aus dem Jahr 1920

Dennoch kam es, nach einem 111-jährigen politischen Kampf, zwei eidgenössischen Volksabstimmungen und als eines der letzten Länder Europas, auch endlich in der Schweiz noch zum Stimm- und Wahlrecht für die Frauen. Der Rest ist Geschichte und heute schämen sich wohl alle dafür, dass ein wesentlicher Teil dieses Landes so lange aus der Demokratie ausgeschlossen wurde.

Nun befindet sich die Schweiz in einer ähnlichen Situation. Die Schweiz kann sich nicht die beste Demokratie der Welt nennen, wenn sie einen Viertel der ständigen Wohnbevölkerung von politischen Rechten ausschliesst. Der erste Schritt ist eine gehörige Portion Druck aus der Zivilgesellschaft, um Lisa Mazzones Motion bei den beiden Räten durchzubringen.

Ich durfte mit dreizehn Jahren endlich auch meinen Schweizer Pass in den Händen halten. Hätte ich ihn früher verdient? Verdienen neue Secondas und Secondos eine kürzere Wartezeit und einen einfacheren Prozess, um als Teil dieses Landes anerkannt zu werden? Du entscheidest.

Autor: Ameen Mahdi