Ist das Schengen-Aus nur Panikmache?

«Das Schengen-Aus ist nur Panikmache!» – Stimmt nicht! Der Faktencheck

Schengen-Abstimmung vom 15. Mai

Am 15. Mai stimmen wir über die Übernahme der Schengen-Weiterentwicklung zu Frontex ab. Das Nein-Lager macht mit kühnen Behauptungen von sich reden: Die Abstimmung könne die Weichen für eine Frontex-Reform stellen, das Schweizer Schengen-Aus sei reine Panikmache, es gäbe genügend Zeit “für eine neue Lösung”. Wir sagen: Falsch!

Hier unser Faktencheck zur Schengen-Abstimmung, mit Gifs und Memes unterlegt. Bring ihn jetzt unter die Leute.

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FALSCH

Frontex wird ausgebaut, das ist seit bald drei Jahren beschlossene Sache. Jetzt geht es darum, ob die Schweiz als letztes Land ihren Beitrag auch noch zahlt. Frontex ist Bestandteil von Schengen. Man kann sich nicht der Verantwortung über Frontex entziehen, ohne das gesamte Schengen-System zu verlassen.

Diese drei Fragen müssen wir uns stellen: 

  1. Sind rein national kontrollierte Grenzen – die einzige derzeitige Alternative zu Schengen – besser für die Einhaltung der Menschenrechte? Sicher nicht. Siehe etwa Ungarn und Polen.
  2. Würde ein Nein an Frontex überhaupt was ändern? Reines Wunschdenken, siehe Aussage 2 weiter unten.
  3. Wollen wir uns unserer Mitverantwortung in und für Europa – dazu gehört auch die Verbesserung der europäischen Migrationspolitik – entziehen? Nein, europäische Herausforderungen lassen sich nur europäisch lösen.
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REINES WUNSCHDENKEN

Das ist reines Wunschdenken. Erstens ist die Verordnung, über die wir abstimmen, in der EU schon seit bald drei Jahren in Kraft. Es geht darum, ob die Schweiz eine längst fällige Rechnung zahlt oder den Schengen-Raum verlässt. Auf Frontex hat diese Abstimmung keine Auswirkung. Ein Nein wäre auch nicht das Zeichen, das sich viele erhoffen (siehe Aussage 10/11).

Langfristig unsere einzige Chance auf Veränderung

NICHT UNMITTELBAR – ABER LANGFRISTIG DIE EINZIGE CHANCE.

Bei Frontex gibt es gravierende Missstände. Frontex selber hat eine sehr problematische Aufgabe und ist sehr problematisch konstruiert. Aber die EU-Institutionen wie das EU-Parlament, die Antikorruptionsbehörde OLAF und der Europäische Gerichtshof können diesen Problemen entgegenwirken. Missstände in den nationalen Grenzschutzbehörden sind wegen schwachen Überwachungs- und Strafverfolgungsmechanismen kaum von aussen beeinflussbar. 

Ein Schweizer Austritt aus Schengen würde die Bestrebungen schwächen, über eine gemeinsame Politik an den Aussengrenzen höhere Standards bei den Menschenrechten zu setzen. Wenn wir diese Verantwortung ausschliesslich den Nationalstaaten überlassen, verändern wir die Menschenrechtssituation in die falsche Richtung.

Die Schweiz – Wiege des Roten Kreuzes und des humanitären Völkerrechts – muss ihre politische Verantwortung auch jenseits der Grenzen wahrnehmen. Diese Verantwortung können wir heute nur MITtragen, wenn wir Schengen MITprägen und die Agentur Frontex MITkontrollieren.
 

Schengen-Abkommen lesen hilft

LESEN HILFT

Es steht im Schengen-Assoziierungsabkommen schwarz auf weiss (Artikel 7), dass die Schengen-Assoziierung bei einer Nichtübernahme eines Schengen-Besitzstands gekündigt wird. Der Mechanismus nach einem Nein funktioniert wie eine tickende Zeitbombe: Der Zünder kann nur durch einen einstimmigen Entscheid aller Schengen-Staaten innerhalb von 90 Tagen gestoppt werden, sonst tritt das Abkommen automatisch ausser Kraft (nach weiteren 90 Tagen). 

Die Referendumsführer*innen behaupten, die Schweiz sei bei verspäteten Umsetzungen bisher auch nicht rausgeflogen. Dieses Argument zieht nicht: Denn ein Volks-Nein ist ein Nichtumsetzungsentscheid – nicht ein “Wir-brauchen-noch-etwas-Zeit-um-umzusetzen-Entscheid”. Siehe auch Aussage 7.

Bis jetzt hat sich diese angebliche “Panikmache” in der Europapolitik stets bestätigt: Bei der Börsenäquivalenz, in der Forschung (Horizon und Erasmus) und in der Medtech-Industrie. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass die Schengen-Mitglieder hier einstimmig dazu bereit sind, eine klare Vertragsbestimmung auszusetzen. Im Unterschied zur Schweiz müssen sie auch das grosse Ganze im Auge behalten. Könnte man das System Schengen ohne Konsequenzen unterlaufen, so würde es rasch auseinanderfallen.

Get your Facts zu Schengen straight

SCHON WIEDER FALSCH VERSTANDEN

Die EU braucht die Schweiz nicht aus Schengen zu werfen. Gemäss Vertrag würde sich die Schweiz bei einem NEIN selbst rauswerfen. Die Beendigung passiert automatisch

Etwa so, als wenn du die Rechnungen deines zu günstigen Konditionen abgeschlossenen Abos nicht mehr bezahlen würdest. Man kann versuchen, das abgelaufene Abo trotzdem zu erneuern, aber die Chancen sind gross, dass die ursprünglichen Sonderbedingungen nicht mehr gelten. Anders gesagt, die Schweiz würde ihre günstige Mitgliedschaft automatisch verlieren – und könnte allenfalls die Mitgliedschaft zu ungünstigeren Bedingungen neu verhandeln.

Und dass alle 27 EU-Staaten sich einstimmig (was gemäss Vertrag [Art. 218 Abs. 8 AEUV] nötig wäre) für eine Sonderbehandlung der Schweiz aussprechen würden, ist in der ohnehin schon festgefahrenen europapolitischen Situation, in die uns der Bundesrat und die Bundesratsparteien hineinmanövriert haben, ein absolut verantwortungsloses Unterfangen.
 

Schengen verpokert

FALSCH GEPOKERT

Die zweijährige Frist ist schon vor fünf Monaten abgelaufen, und wir bewegen uns innerhalb einer ausserordentlichen Kulanzfrist, damit die Volksabstimmung stattfinden kann. Die “verfassungsrechtlichen Voraussetzungen”, die der Schweiz laut Vertrag eingeräumt werden, wären bei einem Nein des Stimmvolkes klar erfüllt. Die 90-Tage-Frist würde anfangen zu laufen. Eine zusätzliche Fristverlängerung oder eine andere einvernehmliche Lösung wäre extrem unwahrscheinlich.

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RICHTIGE BEOBACHTUNG, FALSCHE SCHLUSSFOLGERUNG

Spät übernehmen und sich in einer Volksabstimmung gegen die Übernahme aussprechen, ist nicht das gleiche. Ein Nein der Stimmbevölkerung ist ein Nein, auch wenn die SP danach noch einen hochriskanten Poker mit unserer Schengen-Mitgliedschaft spielen will. 

Die Bedingungen für eine automatische Beendingung der Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz wären am Abstimmungssonntag bereits erfüllt. Die Verzögerung der Zahlung und der Bereitstellung der Kontingente bedeutet für die EU grundsätzlich einen finanziellen Schaden und eine organisatorische Herausforderung.

Innerhalb der 90-Tage-Frist könnte der Bundesrat im besten Fall versprechen, dass die Vorlage in einem zweiten Anlauf aufgrund einer breiteren Koalition erfolgsversprechend ist, und eine Fristverlängerung verhandeln. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen können jedoch nicht innerhalb von 90 Tagen vollständig erfüllt werden. Die parlamentarischen Verhandlungsfristen und die Referendumsfrist nehmen im allerbesten Fall sechs Monate Zeit in Anspruch.

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GRAD GAR NICHT

Der Frontex-Beitrag ist sozusagen der Mitgliederbeitrag für Schengen. Selbst die SP, die das Referendum unterstützt, anerkennt, dass diese finanzielle Verpflichtung nicht verhandelbar ist. Wir können den Beitrag nicht verweigern und dennoch bei Schengen bleiben. Wir können den Beitrag verweigern und bei Schengen raus, das geht.

Nicht ganz richtig

ALLERHÖCHSTENS AUF DEN ERSTEN BLICK

Das Ausscheiden der Schweiz aus Schengen würde bedeuten, dass es neben den Kontrollen an der Schengen-Aussengrenze noch zusätzliche Grenzkontrollen für den Zugang zum Schweizer Reduit gibt. Das mag den Vorstellungen der Befürworter*innen einer äusserst restriktiven Migrations- und Asylpolitik entsprechen, aber es liegt sicher nicht im Sinne der Personenfreizügigkeit und einer liberalen Migrationspolitik.

Die Menschenrechtssituation an der Schweizer Grenze würde sich wahrscheinlich markant verschlechtern, weil die Schweiz zur einzigen Insel einer zweiten Chance für Asylbewerber*innen würde und dagegen fast sicher mit eigenen drastischen Massnahmen vorgehen würde.

Wishful thinking

SCHON WIEDER WUNSCHDENKEN

Das Nein am 15. Mai ist das falsche Zeichen im falschen Forum. Die europäische Migrationspolitik und eine erhoffte Frontex-Reform wird von den Schengen-Staaten gemeinsam entschieden, nicht hier in der Schweiz.

Ein Nein am 15. Mai baut keinen Druck für eine europäische Frontex-Reform auf. Die Schweiz würde den Beitrag zur Aufstockung von Frontex so schnell wie möglich bezahlen wollen, um doch noch irgendwie bei Schengen dabei bleiben zu können. Die Schweiz wäre unter grossem Druck, nicht umgekehrt. Die Schweiz könnte keine Konzessionen an Frontex verlangen – auch wenn dies natürlich wünschenswert wäre.

Wer daran glaubt, dass das Schweizervolk nach der Annahme der Minarett-, Ausschaffungs-, Masseneinwanderungs- und Burkainitiativen plötzlich zum glaubwürdigen Gralshüter der Menschenrechte von Migrant*innen wahrgenommen wird, weil es sich weigert eine Rechnung zu zahlen, geht von einem äusserst verzerrten Selbstbild aus.

Das Europäische Parlament, das einen Teil des Frontex-Budgets eingefroren hat, ist hingegen das richtige Forum, um das System zu ändern. Diese Bestrebungen stärken wir aber nicht, indem wir uns aus Schengen rauswerfen.

wrong

Das Signal, das wir an die EU schicken würden, wäre äusserst schwammig. Laut Umfragen lehnt derzeit nur die SVP-Basis die Vorlage ab – aus diametral anderen Überlegungen als das Referendumskomitee: Mehr Abschottung, mehr nationale Grenzkontrolle. Das einzige Zeichen, das man da setzt, ist das einer Schweiz, die verwirrt, planlos und visionslos ist, und die ihre Mitverantwortung in Europa nicht mittragen will.

Das einzige, was sich aus einem Nein herauslesen lässt, ist, dass Mehrheiten in der Schweizer Europapolitik unmöglich geworden sind – und dass man sich auf die Schweiz nicht verlassen kann.

Nope

NOPE

Bei einem Nein entziehen wir uns ganz klar unserer Verantwortung – unserer Verantwortung gegenüber Europa und gegenüber den Menschenrechten. Mit einem Nein setzen wir ein schwammiges Zeichen mit nur negativen Konsequenzen. Was uns an Frontex stört, ist, dass wir für die Missstände an den EU-Aussengrenzen mitverantwortlich sind. Ein Nein könnte manchen allenfalls ein besseres Gewissen machen, aber dass wir dann die Bewältigung der konkreten Konsequenzen unserer unmenschlischen Migrations- und Asylpolitik einfach an unsere Nachbar*innen delegieren, müsste wohl allen klar sein. Mit einem Nein übernehmen wir keine Verantwortung – wir delegieren sie einfach weiter und entziehen uns der unseren.

Wer wirklich Verantwortung übernehmen will, stimmt am 15. Mai Ja, damit die Schweiz sich in Zukunft dafür einsetzen kann, die europäische Migrationspolitik menschlicher zu gestalten und Frontex zu reformieren. Das wird harte Arbeit, aber europäische Herausforderungen lösen wir nur in und mit Europa.

Give me more

SCHON, ABER WIR BRAUCHEN NOCH MEHR MITSPRACHE

Die Schweiz sitzt bei Schengen aktiv am Tisch und kann mitreden, stärker als bei anderem EU-Recht, welches wir “autonom nachvollziehen” (eine Lebenslüge im Gewand der Souveränität, by the way). Natürlich wünschten wir nebst dem “decision shaping” (mitreden) auch “decision making” (mitbestimmen), aber dann sind wir wieder einmal bei der Schweizer Europapolitik.

Die Kernfrage sollte also lauten: Wie regeln wir unser Verhältnis zu Europa so, dass wir möglichst viel mitbestimmen können, was uns auch mitbetrifft? Wenn wir eine stärkere Stimme dort haben wollen, wo die grossen Entscheidungen getroffen werden, dann müssen wir unseren Platz in Europa finden. Dann müssen wir endlich Europapolitik machen, so sperrig und trocken sie ist. Dann müssen wir europapolitisch handlungsfähig sein. Darum braucht es die Europa-Initiative.

Schengen

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