Handelt, freie Schweizer*innen, handelt!
Zur Lage der Nation am 1. August
Welchen Weg wird die Schweiz in Europa und in der Welt einschlagen? Eine Antwort auf diese Frage fällt an diesem Nationalfeiertag so schwer wie schon lange nicht mehr. Ganz unterschiedliche Vorstellungen über die Rolle der Schweiz treffen mit Wucht aufeinander.
Wir dürfen das Feld nicht den Nationalromantiker*innen überlassen, die offene und vernetzte Schweiz ist in Gefahr. Handelt, freie Schweizer*innen, handelt!
Während Russland die europäische Idee mit Bomben attackiert, verschlechtern sich die Beziehungen der Schweiz mit Europa zusehends. Diese Entwicklungen zwingen uns Schweizer*innen zur Auseinandersetzung mit den wirklich grossen Fragen: Wohin soll unsere Reise als eine Gemeinschaft gehen? Welche Vorstellungen von Souveränität, internationaler Zusammenarbeit und Verantwortung, Freiheit und Neutralität haben wir für unser Land?
Im Europadossier treffen die unterschiedlichen Vorstellungen mit Wucht aufeinander. Doch die Regierung ist unwillens und unfähig, eine breite Debatte darüber anzustossen. Damit die Schweiz nicht auf dem Abstellgleis landet, müssen wir die europapolitischen Weichen aus der Zivilgesellschaft heraus stellen – und zwar jetzt (hier geht’s zur Europa-Initiative).
Wann sind wir als Gesellschaft handlungsfähig?
Der erste Streitpunkt, wo diametral gegensätzliche Vorstellungen aufeinanderprallen, ist das Verständnis von Souveränität.
Selbstlügen
Die Nationalromantiker*innen stellen sich eine Postkarten-Souveränität für die Schweiz vor: “Der Staat” kann seine Regeln frei bestimmen, Freihandelsabkommen sichern den Zugang zu fremden Märkten.
Doch im 21. Jahrhundert ist dies eine Selbstlüge: Das Brexit-Beispiel zeigt, dass Grossbritannien einen höchst fragwürdigen Zuwachs an Souveränität und Freiheit verzeichnet hat. Die Brit*innen müssen sich nachwievor an die EU-Regulierungen halten, um nicht europäische Strafzölle zahlen zu müssen, haben aber jegliche Mitsprache daran abgegeben. Zudem mussten die Bürger*innen zentrale europäische Freiheiten abgeben. Für eine fundierte Entscheidungsfindung müssen die Mechanismen der Globalisierung verstanden werden.
Die Schweiz kann weder die veralteten Bilateralen aktualisieren noch in neuen Bereichen wie dem Klimawandel neue Abkommen abschliessen. Die Schweiz verliert jeden Tag an Handlungsfähigkeit. Ist das souverän? Deshalb 👉 https://t.co/Z8P0i8XBXW #Schweiz #Europa #EuropaInitiative pic.twitter.com/DR8EsLioPh
— Operation Libero (@operationlibero) July 21, 2022
vs. Handlungsfähigkeit im 21. Jahrhundert
Deshalb müssen wir dem nationalromantischen Verständnis von Souveränität ein Neues entgegenstellen: staatliche Handlungsfähigkeit im 21. Jahrhundert. Souveränität heisst, mitgestalten und mitbestimmen zu können, was unsere Gesellschaft ohnehin mitbetrifft. Souveränität bedeutet, einen Platz am Tisch zu haben. Denn viele der grossen Herausforderungen unserer Zeit – wie der Klimawandel, die digitale Transformation oder die Verteidigung und die Weiterentwicklung der liberalen Demokratie – können wir nur gemeinsam mit gleichgesinnten Staaten und weiteren Akteur*innen angehen.
Hier lässt sich auch der Bogen schlagen zum Nationalfeiertag: Als rohstoffarmes Binnenland bedeutete Souveränität für die Schweiz immer auch die Fähigkeit, mit Nachbar*innen und Verbündeten günstige Abkommen zu schliessen. Die Geschichte der Schweiz ist eine Geschichte von interkantonalen und internationalen Staatsverträgen, um die Handlungsfãhigkeiten von Bund und Kantonen zu erweitern.
Wir sind den Entscheidungen anderer ausgeliefert
Damit sich die Schweiz für die individuellen Freiheiten ihrer Bewohner*innen einsetzen kann, muss sie mit denjenigen Partner*innen eng zusammenarbeiten, die über die Rahmenbedingungen für unsere Gesellschaft mitentscheiden. Das ist für die Schweiz in erster Linie die Europäische Union (EU).
Doch weil der Bundesrat es eigenmächtig abgelehnt hat, in einem Rahmenabkommen gemeinsame Spielregeln mit der EU zu definieren, kann die Schweiz derzeit weder die bestehenden Bilateralen Verträge aktualisieren noch neue Verträge abschliessen.
Es brennt: Forscher*innen ziehen aus der Schweiz weg, die Medizinalbranche leidet, die Liste der Konsequenzen wird immer länger... Während wir die Handlungsfähigkeit verlieren, vertrödelt der Bundesrat die Zeit. Jetzt muss die Zivilgesellschaft anpacken: https://t.co/Z8P0i8XBXW pic.twitter.com/M0PzCgtcvg
— Operation Libero (@operationlibero) July 23, 2022
So sind wir jetzt mehr denn je den Entscheidungen anderer ausgeliefert, was uns als Gesellschaft ausbremst und uns handlungsunfähig macht – das Gegenteil von souverän.
Was bedeutet Schweizer Neutralität?
Es sind auch zwei verschiedene Vorstellungen der Neutralität, die diesen 1. August aufeinander treffen. Die erste ist die der Neutralität als Augenverschliessen. Sollen die anderen sich zerfleischen, wir beschränken uns darauf, mit allen von ihnen zu geschäften. Dieses Verständnis verfolgt Christoph Blocher mit seiner angekündigten Neutralitätsinitiative. Die beschlossenen Sanktionen gegen Russland wären damit nicht mehr möglich.
Dieser Vorstellung von Schweiz stellen wir eine aktive und solidarische Neutralität entgegen: Neutralität ist die Handlungsfreiheit der Schweiz, Frieden, Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechts in der Welt aktiv zu fördern. Es ist eine Schweiz, die ihre Verantwortung in Europa und der Welt wahrnimmt.
Kumulation im Europadossier
Im Europadossier fliessen viele dieser aufeinanderprallenden Vorstellungen zusammen. Selten waren die Vorstellungen, wohin die Reise für uns als Gesellschaft gehen soll, so unterschiedlich. Und als wäre es nicht schon herausfordernd genug, haben wir eine Regierung, die kurzfristige Parteiinteressen über die Landesinteressen stellt und die grössten Herausforderungen unseres Landes nicht anpacken will. Die institutionelle Schweiz möchte diese Debatte so weit wie möglich herauszögern – selbst wenn uns das Verzögern schon längst schadet.
Die Schweiz ist innenpolitisch blockiert und unfähig, einen Ausweg aus der europapolitischen Sackgasse zu finden. Der Bundesrat ist planlos. Die Bundesratsparteien haben weder den Willen noch den Mut, einen Befreiungsschlag zu wagen. Unser Ausweg: https://t.co/MO5HX3L5IU pic.twitter.com/567bWKfFWJ
— Operation Libero (@operationlibero) July 17, 2022
Deshalb liegt es jetzt an uns – der Zivilgesellschaft – diese Trödelei zu stoppen. Wir von der Operation Libero wollen die Europapolitik angehen – konstruktiv und respektvoll, aber gründlich und jetzt. Denn wenn wir es nicht tun, dann wird der Schaden immer grösser (und die europapolitische Zerreisprobe kommt so oder so). Die offene und vernetzte Schweiz ist in Gefahr. Und auf keinen Fall wollen wir das Feld den Nationalromantiker*innen überlassen.
An der Europafrage muss sich die Debatte entzünden
Unterstütze uns dabei, das Dossier auf den Tisch zu knallen, an dem die Debatte sich endlich entzünden muss: Unser Verhältnis zu Europa. Die nächste Möglichkeit für einen ersten kleinen Schritt aus der Sackgasse bietet sich Mitte August: Die Aussenpolitische Kommission des Ständerats hat die Chance, den Weg für ein Europagesetz im Parlament zu ebnen, das dem Bundesrat den Auftrag geben soll, die europapolitische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen (hier mehr Infos zur Parlamentarischen Initiative).
Bringt es das Parlament nicht auf die Reihe, stehen wir mit der Europa-Initiative bereits in den Startlöchern: Am 30. August präsentiert die Zivilgesellschaft den Initiativtext (Stay tuned hier).
Wenn das Parlament keine Nägel mit Köpfen macht, wollen wir die derzeitige Arbeitsverweigerung im Europadossier verfassungswidrig machen. Doch der parlamentarische Weg wäre schneller. Appelliere jetzt an den Ständerat, einer parlamentarischen Lösung zum Durchbruch zu verhelfen. Handelt, freie Schweizer*innen, handelt!
Einen schönen 1. August.