Digitalisierung Blog Jugendschutz

Jugendschutz im Netz

Warum man online nicht einfach übernehmen kann, was offline funktioniert

Ein neues Bundesgesetz will Kinder und Jugendliche im Netz besser schützen – mit analogen Prinzipien. Dabei vergibt das neue Gesetz nicht nur freizügig Personendaten an Konzerne, sondern führt vielleicht sogar zu Netzsperren.

Der digitale Wandel ist eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft, der wir uns nicht entziehen können – das ist kein Geheimnis. Wir bei Operation Libero glauben, dass es sich lohnt, die Chancen zu nutzen, welche die technischen Veränderungen bieten - aber natürlich im Bewusstsein um das teilweise grosse Risiko und die notwendigen Anpassungen, die mit vielen dieser technischen Entwicklungen einhergehen. Ein anschauliches Beispiel für eine solche, leider missglückte Anpassung ist die neue Gesetzgebung zum Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele, die unser Thementeam Digitalisierung aktuell beschäftigt.

Darum geht es

In der Herbstsession 2022 wurde das Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele vom Parlament verabschiedet. Das Ziel des Gesetzes ist, Jugendliche vor schädlichen oder für ihr Alter unangemessenen Inhalten in Filmen und Videospielen zu schützen. Davon betroffen sind unter anderem sogenannte Abrufdienste, d.h. digitale Angebote, über die Filme und Videospiele konsumiert werden können, bei denen aber die Nutzer*innen keinen Einfluss auf das verfügbare Angebot haben.Typische Beispiele für solche Dienste sind Streamingdienste wie Netflix oder Gamingdienste wie Google Stadia. Ebenfalls betroffen sind sogenannte Plattformdienste, d.h. Dienste, die Benutzer*innen nicht nur das Abrufen von Inhalten erlauben, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben eigene Inhalte hochzuladen, damit diese von anderen Nutzer*innen konsumiert werden können - also Dienste wie Youtube oder Twitch.

Um nun bei der Benutzung dieser Dienste den Schutz der Jugendlichen vor unangemessenen Inhalten zu gewährleisten, sollen die Betreiber der Dienste in die Pflicht genommen werden und Jugendlichen nur Inhalte zeigen, die für ihr Alter angemessen sind. So weit, so bekannt aus der realen Welt.

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Offline-Rezepte sind nur bedingt auf die Online-Welt anwendbar

Aber wie adaptiert man dieses offline bewährte Prinzip nun für digitale Inhalte und Dienste? Das vorliegende Gesetz wählt den Ansatz, dass für alle Nutzer*innen eines Dienstes eine Alterskontrolle vorgenommen werden muss, bevor diese das Angebot der Dienste nutzen können - hier wird also ebenfalls die reale Welt als Vorbild genommen.

Aber hier beginnen nun die Probleme, denn das Gesetz weist entsprechend auch die Verantwortung für die Durchführung der Alterskontrolle den Betreiber*innen der Abruf- und Plattformdienste zu - und geht dabei soweit, dass es explizit festhält, dass die Systeme zur Durchführung der Alterskontrolle von den Betreiber*innen der Dienste selbst stammen müssen. Wenn nun aber die Betreiber*innen die Alterskontrollen mit ihren eigenen Systemen vornehmen, dann bedeutet dies, dass sie an personenbezogene Daten kommen, schliesslich müssen ja genau diese verarbeitet werden. Aber anders als in der realen Welt, wo die Nutzer*innen aufgrund ihrer Erscheinung teilweise gar keinen Ausweis vorweisen müssen und ihre physischen Ausweise nach der Kontrolle wieder mitnehmen, müssen alle Benutzer der Onlinedienste ihre personenbezogenen Daten übermitteln. Diese Daten sind nun im Besitz der Betreiber*innen der Dienste – somit ist es deren Eigenverantwortung, für einen angemessenen, legalen Umgang mit diesen Daten zu sorgen. Und genau hier liegt das Problem. Das Gesetz selbst untersagt explizit nur für die Daten minderjähriger Nutzer*innen eine weitere Verarbeitung, die über die eigentliche Alterskontrolle hinausgeht. Für die Daten volljähriger Benutzer*Innen wird dagegen vom Gesetz nichts vorgeschrieben - wenn überhaupt, dann werden diese nur von den kommenden Ausführungsbestimmungen des Bundesrats geschützt.

Apropos Ausweise: Wie in der realen Welt setzt auch eine online durchgeführte Alterskontrolle eine bestimmte Datenqualität voraus, wenn sie effektiv sein soll. In der Praxis wird das bedeuten, dass das Vorweisen eines amtlichen, möglicherweise digitalen Ausweises notwendig sein wird, welcher ausreichend gegen Fälschungen geschützt ist. Das bedeutet aber, dass die Betreiber der Dienste für jede*n Benutzer*in in den Besitz eines verifizierten Ausweis oder zumindest gewisser Teile davon kommen werden. Nicht nur, dass damit massenhaft hochwertige Ausweisdaten gesammelt werden - da uns in der Schweiz aktuell eine E-ID fehlt, müssen massenhaft analoge Ausweise geprüft werden, die für eine Kontrolle über Onlinedienste nicht wirklich ausgelegt sind. Als Folge davon kann es z.B sein, dass neben den eigentlich relevanten Informationen über das Alter einer Person weitere Informationen verarbeitet werden müssen, z.B. um die Echtheit der übertragenen Ausweisdaten zu prüfen. Auch kann man wohl in vielen Fällen nur schlecht kontrollieren, welche Ausweisdaten für die Dienstbetreiber*innen überhaupt lesbar sind - Nutzer*innen werden wohl in vielen Fällen mehr von sich preisgeben als sie müssen und wollen.
Das Gesetz macht den Eindruck, als wäre es unter der Prämisse entstanden, dass in der Schweiz bis zu seinem Inkrafttreten bereits eine E-ID im Einsatz ist. Dem ist aber nicht so, und bis in der Schweiz flächendeckend E-IDs im Einsatz sind, kann es noch einige Zeit dauern. Dass dabei auch E-IDs nicht perfekt sind, sei hier nur am Rande erwähnt.

Wichtiges Prinzip verletzt

Fassen wir zusammen: Die Betreiber*innen von Diensten, über die Filme und Videospiele konsumiert und anderen zur Verfügung gestellt werden, sind zukünftig für eine Alterskontrolle zuständig, was zur Folge hat, dass sich bei ihnen Berge von qualitativ hochwertigen, da amtlichen personenbezogenen Datensätzen ansammeln könnten, die sie möglicherweise nach ihrem eigenen Gusto weiterverarbeiten und verknüpfen können. Für uns ist damit das grundlegende Prinzip, dass ein Individuum die Kontrolle über seine persönlichen Daten haben soll, klar verletzt. Und zwar potentiell auf allen Websites und Plattformen, über die Filme und Videospiele angeboten werden.

Wie könnte man es besser machen? Ganz klar, indem man das eigentliche Anliegen im Kontext der vorhandenen technischen Möglichkeiten reflektiert und diese nutzt, anstatt die Prozesse der realen Welt 1:1 in die digitale Welt zu übernehmen.
Eine solche Möglichkeit, die uns in den Sinn gekommen ist, ist die folgende: Was die Abruf- und Plattformdienste eigentlich interessieren sollte, ist, welche Inhalte sie Benutzenden anzeigen sollen. Würde nun zum Beispiel der Bund oder eine andere Organisation ein zentrales System anbieten, über welches Abruf- und Plattformdienste feststellen können, welchen Teil des Angebots eine bestimmte Benutzer-ID konsumieren darf, so wäre die Datenschutzproblematik deutlich entschärft, da die Dienste nur diese Benutzer-ID kennen müssten. In so einem System könnten die Benutzer*innen oder die Eltern minderjähriger Benutzenden ein Profil anlegen, die entsprechenden Einstellungen vornehmen, und der Benutzer nutzt dann die Abruf- und Plattformdienste mit seiner Benutzer-ID anstatt mit seinem Ausweis. Auch wenn dieser Ansatz nicht perfekt ist, so würde dieses Vorgehen die personenbezogenen Daten vor Abruf- und Plattformdiensten deutlich besser schützen und nicht zuletzt den Eltern die Verantwortung darüber geben, welche Inhalte ihre Kindern über diese Dienste konsumieren.

Nächste Station: Netzsperren?

Ausserdem: Werden sich international tätige Digitalkonzerne überhaupt an die Schweizer Regelungen halten? Schliesslich ist die Schweiz für die meisten nicht der wirtschaftlich relevanteste Markt. Falls nicht, so stellt sich die Frage, wie der Zugriff auf Dienste ohne Alterskontrolle unterbunden werden kann, wobei die einzige Lösung wohl Netzsperren wären, die sich aber in der Vergangenheit nicht nur als ineffektiv erwiesen haben, sondern für versierte Jugendliche – und somit deren gesamten Freundeskreis – auch kein Hindernis darstellen. Dass Netzsperren aus liberaler Sicht problematisch sind, haben wir bereits in früheren Blogposts thematisiert.

Was nun?

Nachdem das neue Gesetz in der Herbstsession 2022 verabschiedet wurde, haben verschiedene politische Akteure, unter anderem die Piratenpartei, das Referendum gegen das Gesetz ergriffen. Sie sammeln noch bis zum 19. Januar die notwendigen Unterschriften. Aufgrund der obigen Überlegungen unterstützt Operation Libero das Anliegen des Referendums. Unterschriftenbögen können über die zugehörige Website bezogen werden.

Wenn du es befremdlich findest, dass Alphabet, Amazon, Apple und Konsorten immer deinen amtlichen Ausweis sehen dürfen, dann unterzeichne auch du das Referendum.

Verfasser: David Caspar, Leitung Team Digitalisierung

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