Gebäude von gestern für morgen rüsten
Warum energetische Sanierungen sinnvoll sind und wie sie umgesetzt werden
Der HEV und die SVP wollen uns erzählen, dass die energetische Sanierung von bestehenden Gebäuden für Eigentümer*innen kaum finanzierbar sind und für Mieter*innen zu unbezahlbaren Mieten führen. Im folgenden Text zeigen wir an einem Beispiel auf, wie die Sanierung gelingen kann und wie Mieter*innen, Vermieter*innen und die Umwelt davon profitieren.
Der Gebäudepark in der Schweiz ist alt. 60 % der Gebäude in der Schweiz wurden vor 1980 erbaut. Es besteht immer noch ein grosser Bedarf, den Energieverbrauch der alten Gebäude auf ein vertretbares Niveau zu senken, um die Klimaziele zu erreichen. Wie das funktionieren kann, zeigen wir dir anhand eines Gebäudes in Wettingen mit Baujahr 1953.
1) Zustand erheben und Ziel festlegen
Zuallererst braucht es eine Übersicht über den Zustand des Gebäudes sowie über seinen Energiebedarf. Gebäudeteile brauchen immer wieder Pflege oder müssen ausgetauscht werden. Sieht zum Beispiel die Fassade sehr schlecht aus, kann ein neuer Anstrich Abhilfe schaffen. Statt nur den bestehenden Zustand zu erhalten, kann das Gebäude im gleichen Schritt aber auch aufgewertet werden. Die Fassade kann also nicht bloss neu gestrichen, sondern auch gedämmt und mit haltbareren Materialien eingekleidet werden.
Steht eine grössere Sanierung wie eine Fassadenrenovation an, sollte im gleichen Zug der Energiebedarf evaluiert werden. Ist der Energiebedarf des Gebäudes nicht akzeptabel, sollte nun ein Ziel für die Senkung des Energieverbrauchs festgelegt werden, anstatt nur den Status quo zu erhalten.
Bei unserem Beispielgebäude in Wettingen war der Energieverbrauch viel zu hoch und wurde grösstenteils mit fossilen Energieträgern gedeckt. Einzig die Fenster waren aufgrund von Schallschutzbestimmungen bereits saniert worden und daher energetisch auf einem akzeptablen Stand.
Ziel war also, den Energiebedarf stark zu senken und den restlichen Bedarf nur aus regenerativen Quellen zu decken. Als Photovoltaik-Module (PV) günstiger wurden, kam das Ziel dazu, mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen. Die Mieter*innen sollen dadurch von sehr tiefen Nebenkosten profitieren, sowie zusätzlich günstigen Strom vom eigenen Dach beziehen können.
2) Massnahmen auswählen
Um das Ziel zu erreichen, müssen Massnahmen getroffen werden. Dabei helfen kann zum Beispiel ein GEAK Plus. Dieser Beratungsbericht erfasst den aktuellen Zustand und schlägt drei Möglichkeiten für die Optimierung des Gebäudes und dessen Energieverbrauch vor.
Eine Sanierung ist kein Marathon, den man ohne Pause durchrennen muss. Sie kann in mehrere Sprints unterteilt werden, um die Lebensdauer der bestehenden Gebäudeteile optimal zu nutzen und den Finanzbedarf über Jahre zu verteilen.
Beim Beispielgebäude wurde die Sanierung über 16 Jahre verteilt (zwischen 2007 und 2023). Im Nachfolgenden werden exemplarisch ein paar Schritte auf diesem Weg gezeigt. Natürlich wären auch andere Massnahmen möglich gewesen, um die Ausgangssituation zu verbessern. Hier wurde aber sehr viel Wert auf die Reduzierung des Energieverbrauchs gelegt. Daher wurde auch in die Dämmung der Gebäudehülle investiert, obwohl die weiteren Schritte auch ohne möglich gewesen wären.
3) Optimierung der Gebäudehülle
Das Gebäude steht an einer Hauptverkehrsachse. Dadurch sieht die Fassade bereits wenige Jahre nach einem neuen Anstrich wieder sanierungsbedürftig aus. Aufgrund der exponierten Lage wurde entschieden, die verputzte und ungedämmte Gebäudehülle durch eine hinterlüftete Fassade mit lang haltbaren und pflegeleichten Keramikplatten aufzuwerten. Heute würde wohl eher auf eine Solarfassade gesetzt, damals war diese Technologie noch nicht zu akzeptablen Kosten verfügbar.
Als weitere Komfortsteigerung wurden im gleichen Zug die Klappläden durch elektrische Rollläden ersetzt. Ausserdem wurde eine Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung eingebaut.
4) Optimierung von Heizung und Warmwassererzeugung
Das Gebäude wurde ursprünglich durch eine Ölheizung mit Baujahr 1970 beheizt. Der Ölbrenner wurde zwischenzeitlich ersetzt, um die Lebensdauer zu verlängern. Warmwasser wurde durch einen Elektroboiler in Kombination mit Heizungsunterstützung erzeugt. Heizungsanlage, Warmwassererzeugung sowie Öltank und Kamin waren so weit in die Jahre gekommen, dass eine Sanierung unmittelbar angezeigt war.
In einem ersten Schritt wurde die Warmwassererzeugung umgestellt auf eine thermische Solaranlage.
Aufgrund der sehr hohen Betriebskosten und der katastrophalen negativen Auswirkungen auf das Klima kam eine fossile Heizung als Ersatz nicht infrage, obwohl eine Ölheizung die geringsten Investitionskosten gehabt hätte. Der Ersatz der Ölheizung mit einer fossilen Technologie hätte es zudem erfordert, den Kamin (und den Tank) zu sanieren. Fossile Heizungen brauchen auch regelmässig Wartung durch Kaminfeger*innen.
Wegen des ausserordentlich geringen Energiebedarfs wurde daher auf eine Grundwasserwärmepumpe (Wasser/Wasser) gesetzt. Bei dieser Anlage wird Grundwasser aus der Grundwasserschicht hochgepumpt. Die Wärmepumpe entzieht dem Grundwasser dann Wärme. Das Grundwasser hat über das gesamte Jahr eine Temperatur von ca. 12 °C. Dadurch wird bis zu 80 % der Heizenergie durch das Grundwasser zur Verfügung gestellt. Es wird nur ein kleiner Anteil Strom benötigt.
Als Bonus kann im Sommer mit dieser Anlage auch gekühlt werden. Durch die Dämmung ist es möglich, die Temperatur auf ein angenehmes Niveau zu senken und die Wärme effizient ins Grundwasser abzuführen. Dies hat aufgrund der kleinen Mengen praktisch keinen Effekt auf die Temperatur des Grundwasserstroms.
Der Energieverbrauch vor Beginn aller Sanierungen lag bei 14’461 L Heizöl (Nebenkostenperiode 2007/2008) plus Strom für Heizung und Elektroboiler. Bei einem Heizwert von 11 kWh pro Liter Heizöl entspricht das 159’071 kWh pro Jahr. Der Stromverbrauch für Heizung und Elektroboiler konnte leider nicht separat gemessen werden.
Nach der Sanierung der Gebäudehülle lag der Energieverbrauch für Heizung und Warmwasser noch bei 73’760 kWh pro Jahr. Nach der Sanierung der Heizung waren es noch zwischen 25’624 kWh und 28’874 kWh. Im Vergleich zum unsanierten Zustand ist das eine Senkung um über 82 %. Im Vergleich zum gedämmten Zwischenzustand ist das immer noch eine Senkung auf unter 39 % dieses Energiebedarfs, obwohl im Sommer noch die Kühlung in Betrieb ist.
5) Stromproduktion
Am 25. Mai 2023 hat die Installation einer 40-kWp-Solaranlage mit 44 kWh Batteriespeicher begonnen. Dadurch sollten pro Jahr 33’000 kWh Strom produziert werden. Dies deckt den gesamten Heiz- und Kühlbedarf sowie den allgemeinen Strombedarf (wie etwa Beleuchtung und Waschmaschine) ab.
Fazit
Das Beispielgebäude wurde von einer komfortlosen Energieschleuder zu einem Gebäude mit hoher Energieeffizienz und herausragendem Komfort für die Mieter*innen.
Bei einem Heizölpreis von über 100 Fr. pro 100 L und Stromgebühren aus dem Jahr 2008 betrugen die Nebenkosten für Heizung (inkl. Kaminfeger*in), Warmwasser und Allgemeinstrom 17’000 Fr. Nach der Sanierung betrugen die Nebenkosten für Heizung, Warmwasser, Grundwassernutzungsgebühren und Allgemeinstrom zwischen 6’500 Fr. und zuletzt 8’600 Fr. (wegen dem gestiegenen Strompreis und höherem Verbrauch aufgrund von etwas kälterem Winter 2021 und extremem Hitzesommer 2022). Durch die neue PV-Anlage wird der Preis aber wieder etwas sinken. Durchschnittlich ist das Jahr also rund 10’000 Fr. günstiger.
Für die Sanierung der Liegenschaft musste einiges investiert werden, es benötigte dafür aber keine zusätzlichen Hypotheken. Die Investitionen sind langfristig angelegt; bis sie sich finanziell gelohnt haben, wird es einige Jahre dauern. Mit den hohen Öl- und Gaspreisen sinkt diese Zeit aber. Einzurechnen ist zudem: Ein beachtlicher Teil dieser Investitionen wäre sowieso angefallen, um den Status quo zu erhalten. Die Mehrkosten werden über die Jahre durch die geringeren Betriebskosten mehr als kompensiert. Zusätzlich wurden die meisten Massnahmen durch verschiedene Programme gefördert und dadurch verbilligt. Auch Steuerersparnisse halfen bei der Finanzierung mit.
Mit der günstigen Realisierung weiterer Komfortmassnahmen konnte zusätzlicher Mehrwert geschaffen werden. Dies hat das Risiko für Leerstände reduziert. In all den Jahren seit den Komfortsteigerungen waren alle Wohnungen und Geschäfte praktisch durchgehend vermietet. Unter dem Strich waren diese Investitionen sinnvoll und rentabel.
Die Nebenkostenreduktion konnte mit den Erhöhungen für den Mehrwert der Sanierung verrechnet werden. Auch aufgrund der seit 2006 massiv tieferen Hypothekarzinsen konnten die Mieten teilweise sogar minim gesenkt bis zu maximal 15 % erhöht werden (je nach Vertragssituation). Die Nebenkosten wurden aufgrund der vorhersehbaren Kosten für Heizung und Warmwasser von effektiv abgerechnet auf pauschal umgestellt. Dadurch erleben die Mieter*innen jetzt kein finanzielles Fiasko wie Mieter*innen in fossil beheizten Gebäuden aufgrund von Nachforderungen durch die hohen Öl- und Gaspreise.
Die PV-Anlage wird durch den Verkauf des Stroms finanziert und wird zu keiner Mietzinserhöhung führen. Der Strompreis liegt dabei 1.5 Rp/kWh unter dem Strompreis des Elektrizitätswerkes.
Die folgende Tabelle zeigt das als Übersicht:
Stand 2007/2008 | Stand 2013 |
Stand 2014-2023 |
|
Verbrauch Heizung, Warmwasser | 159’071 kWh + Elektroboiler und Strom für Ölheizung | 73’760 kWh + Strom für Ölheizung | 2022: 28’874 kWh 2021: 28’087 kWh 2020: 25’624 kWh 2019: 25’783 kWh |
Nebenkosten Heizung, Warmwasser + Allgemeinstrom + Kaminfeger |
CHF 17'000 | CHF 11'200 | zwischen CHF 6’500 - CHF 8’600 |
Photovoltaik-Ertrag | 0 kWh | 0 kWh | Prognose ab 2023/24: 33'000 kWh |
Marktvergleich Mietzinse
Ein Marktvergleich zeigt, dass die Mieten im Beispielgebäude aufgrund der tiefen Nebenkosten teilweise tiefer liegen als aktuell angebotene Altbau-Objekte mit viel tieferem Komfort.
In der Nähe an der gleichen Hauptverkehrsstrasse wird aktuell z. B. eine 2.5-Zimmer-Wohnung unsaniert mit alter Küche angeboten. Der Vergleich mit einer vergleichbaren Wohnung in der sanierten Beispiel-Liegenschaft (mit modernerer Küche und Bad) sieht wie folgt aus:
unsanierter Altbau – ähnliche Lage | sanierte Beispielliegenschaft | |
Nettomiete | CHF 1’290 | CHF 1'365 |
Nebenkosten | CHF 300 | CHF 100 |
Miete total | CHF 1'590 | CHF 1'465 |
Mit anderen Altbau-Objekten können die Preise jeweils gut mithalten. Gegenüber Neubauten liegen die Preise teilweise massiv tiefer, obwohl der Komfort in einigen Bereichen sogar höher ist. Denn welche Mietwohnung bietet schon klimafreundliche Energieversorgung, garantiert tiefe Nebenkosten, Geräte der besten Energieeffizienzklasse, eine günstige Sommerkühlung und günstigen Strom vom eigenen Dach? Diese Liegenschaft ist mit diesen Eigenschaften wahrscheinlich einmalig in Wettingen. Dies alles ist nur möglich, weil die Energieeffizienz bei der Strategie für die Liegenschaft prioritär betrachtet wurde.
Was ist jetzt zu tun?
Mit der heute verfügbaren Technik ist sehr viel möglich. Für Vermieter*innen mit einem längeren Investitionshorizont bietet sich die Chance, Objekte sinnvoll zu sanieren und diese anschliessend sehr konkurrenzfähig anzubieten. Dabei profitieren Mieter*innen und Umwelt gleichermassen. Mit einem Ja zum Klimaschutzgesetz am 18. Juni werden Vermieter*innen beim Ersatz von alten klimaschädlichen Heizungen zusätzlich unterstützt, damit mehr Objekte wie das Beispiel oben auf dem Markt verfügbar werden.
Verfasser: Dominic Ullmann, Co-Kampagnenleiter Klimagesetz