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secondo agosto - im nachgang zum nationalfeiertag

ein paar kritische worte zur schweiz

die letzte strophe der nationalhymne ist mittlerweile verklungen, die politischen ansprachen mit viel applaus beklatscht, das feuerwerk abgebrannt und die höhenfeuer erloschen. der erste august ist vorbei: die schweiz hat geburtstag gefeiert. in den reden wird üblicherweise die gründung der eidgenossenschaft von 1291 heraufbeschworen und die schweiz als vorzeigedemokratie hochstilisiert. feuchtfröhlich wurde in einem meer aus rot-weissen quadratischen fähnchen gefeiert. 

der erste august aus der ferne
in meinen siebenundzwanzig jahren war ich erst zwei mal während des ersten augusts in der schweiz. als secondo war die sommerzeit (und sie ist es bis heute) stets geprägt von ferien in kosovë. auch bei anderen migra-freund*innen von mir sieht das ähnlich aus. der erste august wurde generell aus der ferne betrachtet. der funke ist nie so wirklich übergesprungen, aber wieso eigentlich? 

ich möchte am heutigen tag, dem secondo agosto, den fragen nachgehen, was die schweiz genau feiert, wer nun genau in feierlaune ist und weshalb sich einen tag später stimmen kritisch zu wort melden, die sonst weniger gehör finden.

mir ist wichtig, dass der erste august gefeiert werden soll. nationalfeiertage sind (noch) a thing. mir ist es aber genauso wichtig, wenn nicht sogar ein bisschen wichtiger, dass kritische stimmen zum ersten august und zur schweiz raum einnehmen können. so wie ich dies hier mache: als secondo, am secondo agosto. in meiner migrantischen kritik an der schweiz möchte ich auf das demokratie-defizit aufmerksam machen darauf wie ausschlussmechanismen und diskriminierende erfahrungen bei der einbürgerung und im alltag sich in identitätsstiftenden prozessen bemerkbar machen. 

schweizer*in sein: wer ist’s, wer darf’s werden, und wer nicht?
ich bin in der schweiz geboren und aufgewachsen, habe hier meine schule und universitäre ausbildung abgeschlossen – und doch werde ich nicht als schweizer gelesen. hier möchte ich noch kurz einfügen, dass “hier geboren” zu sein nicht mit schweizer*in-sein verknüpft sein muss. alsbald ich mich vorstelle, den leuten die hand schüttle und meinen vor- und nachname in den raum spreche, geschieht es. konnte ich vorher noch als schweizer “passen”, füllt nun eine dissonanz und gewisse irritation den raum. ein prozess der kategorisierung – nicht schweizerisch, woher kommt er wirklich?, islam, muslim, also nicht von hier – artan? noch nie gehört, wieso ist die betonung so anders? vielleicht hier aufgewachsen? aber kann ja nicht sein, weil islam – wird ins rollen gebracht, der je nachdem, wer mein gegenüber ist, sich verschieden äussert; dieser kann sich explizit, aber auch implizit äussern. klar ist, dass mensch einem othering ausgesetzt wird. fragen, die migrantisierte menschen nur zu gut kennen, peitschen mir regelrecht ins gesicht. es wird dann doch auf hochdeutsch oder auf englisch weitergesprochen. das übliche halt. 

solche erfahrungen sind in meiner migra-bubble keine seltenheit – sie sind teil des second@- oder terti@-seins. dies geschieht in kombination mit einem umfangreichen katalog an diskriminierungserfahrungen, die mensch selbst erlebt hat oder aus seinem umfeld kennt. all dies lässt uns nicht schweizerisch fühlen. aber auch die medienberichterstattung und politische kampagnen, die migrant*innen und ihre kinder für jegliche probleme zu sündenböcken und/oder täter*innen machen, tragen zu diesem immer grösser werdenden graben bei. aber auch dieser graben entlang der schweizerischen grenze sieht je nach himmelsrichtung ein bisschen anders aus. ich kann mich noch gut erinnern, als die SVP mit dem slogan “kosovaren schlitzen schweizer auf” auf stimmenfang ging. in einer ähnlichen tonalität war sie auch bei den wahlen letzten oktober unterwegs. sie bedient sich auch jetzt der gleichen rassistischen rhetorik und denkbilder und wird es wohl auch in zukunft noch tun. egal wie sehr die eidgenössische kommission gegen rassismus (EKR) oder andere akteur*innen den rassismus der wähler*innenstärksten partei hervorheben. 

gespräche über die erfahrung in unserem einbürgerungssystem
in unseren gesprächen sprechen wir auch stets über die einbürgerungsprozedere, die wir, unsere familienmitglieder oder unsere freund*innen durchmachen durften. den sarkastischen ton möchte ich hier nochmals hervorheben. *note to self: “durften” kursiv und fett machen*. für uns ist die sogenannte “ordentliche einbürgerung”, nachdem mensch die doch sehr überholten “bundesrechtlichen voraussetzungen” erfüllt hat, das paradebeispiel, um den prozess des otherings zu benennen und zu beleuchten. und wenn wir mal wieder von einem schicksal oder fall hören – und nennen wir sie bitte nicht einzelfälle – bei welchem rassistische und/oder diskriminierende äusserungen das einbürgerungsgesprächverhör, dann wissen wir ehrlich gesagt nicht, wieso wir den ersten august mitfeiern sollten. es ist das ständige erklären und beweisen müssen, dass wir “schweizerisch”  und “integriert” genug sind, das wir langsam aber sicher nicht mehr hören und ertragen wollen. denn es wird mensch immer klar gemacht, dass mensch nie richtig “schweizerisch” sein kann, wenn der name auf -ić endet, viel mehr konsonanten und vokale als ein “typisch” schweizerischer nachname hat oder andere sogenannte “sonderzeichen” kennt. 

ich feiere nicht, dass wir im internationalen vergleich eine der restriktivsten einbürgerungspolitiken haben. und gewisse politische akteure immer mehr hürden für die einbürgerung aufstellen. ich feiere nicht, dass die schweiz ein hierarchisches system in diesem bereich geschaffen hat. erst waren es die italiener*innen, dann leute aus dem balkan und nun leute aus dem nahen osten; und es wird wohl nicht lange dauern, bis die nächsten kommen und sich ganz unten positionieren dürfen. ich feiere nicht, dass ein viertel der ständigen bevölkerung von der demokratischen mitbestimmung ausgeschlossen ist, obschon die schweiz, auf den schultern von migrant*innen erbaut wurde und ihnen den wohlstand mitverdankt. ich feiere nicht, dass einbürgerung und/oder integration mit diskriminierungserfahrungen, willkür und einer hierarchisierung von nationalitäten und herkünften einhergeht. ich feiere nicht, dass wir eine vielzahl an persönlichen geschichten kennen, die solch undemokratische praktiken ans tageslicht bringen, und es dennoch so viele mehr solcher fälle gibt, die die diskriminierende systematik hinter dem sogenannten “schweizer*in-werden” aufzeigen. ich feiere nicht, dass so viele un-betroffene menschen immer noch nicht realisiert haben, wie mensch hier zum roten pass kommt. 

eine lanze für den secondo agosto brechen
der erste august wird von einem grossteil der schweizerischen gesellschaft kritikfrei als “schweizer tag” begangen – migrantische positionen gehören wie selbstverständlich nicht dazu. aber genau im migrantischen gedächtnis ist der nationalfeiertag unter anderem mit dem spiessrutenlauf der einbürgerung verbunden. und ebenso mit dem alltagsrassismus, den anekdoten von freund*innen und deren bekannten, die aufgrund ihres backgrounds in diesem prozedere willkür und diskriminierung erfahren. ein solches prozedere ist einer demokratie nicht würdig. insbesondere dann nicht, wenn sie sich nach innen und aussen stets als vorzeigedemokratie gibt.

und doch gibt es wege, die zumindest für mich stimmen, wie ich mich in dieser gesellschaft trotz institutionellem und gesellschaftlichem widerstands wiederfinde. ich bin albaner, der die kosovarische staatsangehörigkeit besitzt ohne beweisen zu müssen, wie albanisch er wirklich ist. ich bin schweizer bürger – nehme also diese pflichten wahr und besitze diese rechte. ich bin zürcher – fühle mich in dieser kleinen grossstadt zugehörig, wohl und gesehen. der zürcher pluralismus und die diversität hier fangen mich auf, nachdem mich das netz “schweizer*in” durchfallen liess. 

unsere vision eines liberalen bürger*innenrechts
zurzeit arbeiten gerade verschiedene progressive kräfte daran, auf institutioneller ebene endlich frischen wind in die einbürgerungspolitik, einem der herzstücke unserer demokratie, zu bringen. so wird schritt für schritt auch an einer öffnung der begrifflichkeit, was denn wirklich “schweizerisch” ist, gearbeitet. und hier passiert das, was ich mir in einem grösseren rahmen wünsche: menschen mit roten pass, menschen mit niederlassungsbewilligungen und menschen, die weder das eine noch das andere haben, gehen tag für tag auf die strasse, um die demokratie demokratischer, greifbarer und vor allem zugänglicher zu machen. und ein liberales bürger*innenrecht möchte ich auch in unserer verfassung verankert sehen. dass bei einer pressekonferenz der schweizer nationalmannschaft die frage an m. yakin und g. xhaka nicht gestellt werden muss, ob die nati nun wieder genug albanisch sei. sondern die postmigrantische realität der schweiz akzeptiert, ja gar zelebriert wird. 

lass uns feiern
ich feiere mit, wenn wir als gesellschaft endlich auf augenhöhe mit migrantisierten menschen umgehen. die rund 40 % menschen mit migrationsbiographien der schweiz als teil der vielfalt ansehen, was bei den vier amtssprachen irgendwie funktioniert. aber sobald die hintergründe und sprachen ein bisschen diverser werden, sieht mensch das nicht mehr positiv. ich feiere mit, wenn noch mehr schweizer*innen für die demokratie auf die strasse gehen und unser progressives initiativprojekt über die ziellinie führen. ich feiere mit, wenn kommunale und kantonale vorstösse zur liberalisierung der teilhabe an politischen prozessen durchkommen. ich feiere mit, wenn wir es schaffen, dass wir die demokratie in ihrer vollwertigkeit ausleben. medienbericht für medienbericht. gespräch auf der strasse für gespräch auf der strasse. blogbeitrag für blogbeitrag, podcast-folge für podcast-folge *kleiner werbeeinschub: jetzt unseren libero-podcast “mia migra” hören* und zuletzt und momentan fast am wichtigsten, unterschrift für unterschrift. 


autor: artan islamaj ist head of campaigning bei operation libero. er schreibt gern alles klein, insbesondere dann, wenn er politische messages unterstreichen möchte. 

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