Konzernverantwortung: Ein Sammelerfolg, der verpflichtet
Ein Rekord für die Geschichtsbücher: In nur 14 Tagen haben Freiwillige in der ganzen Schweiz 183’661 Unterschriften für die neue Konzernverantwortungsinitiative gesammelt. Dieser Sammelerfolg verpflichtet den Bundesrat und das Parlament nun zu schnellem Handeln. Die Zeit drängt: Die Schweiz ist trotz des KVI-Volksmehrs im Jahr 2020 bereits das Schlusslicht in Europa, was die Konzernverantwortung angeht. Das hat Konsequenzen.
D’KVI, weisch no?
Als Vertreterin einer liberalen Wirtschaftsordnung, in der Freiheit und Verantwortung stets Hand in Hand gehen, hat sich Operation Libero im Herbst 2020 für die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) eingesetzt – als Teil einer riesigen Koalition. Die KVI scheiterte knapp am Ständemehr, doch mit dem Volksmehr machte das Schweizer Stimmvolk deutlich, dass punkto Konzernverantwortung dringender Handlungsbedarf besteht.
Am 1. Januar 2022 trat dann der Gegenvorschlag des Parlaments in Kraft, der nichts mehr als ein zahnloser Papiertiger ist. Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten wurden keine eingeführt.
Was versprachen die KVI-Gegner*innen?
Ein wichtiges Argument der Gegner*innen der KVI war, dass die vorgeschlagene Regulierung weiter als die Vorgaben in der EU gehen würde und ein international abgestimmtes Vorgehen sinnvoller wäre. Es wurde versprochen, dass sich die Schweiz den Regulierungen im Ausland anschliesst und keinen Alleingang wagt. Ohne dieses Versprechen wäre die KVI wohl angenommen worden.
Was ist seither geschehen?
Im Ausland viel, in der Schweiz nichts. Die EU hat ihre Verantwortung wahrgenommen, den rechtlichen Rahmen für unsere globalisierte Wirtschaft ein wenig gerechter, effizienter und liberaler zu machen. Die Direktive “Unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich Nachhaltigkeit” (CSDDD) wurde am 25. Juli 2024 in Kraft gesetzt. Diese Direktive geht bedeutend weiter als die aktuelle Schweizer Regulierung und kommt den Forderungen der ersten KVI sehr nahe. Willst du mehr darüber erfahren? Klicke hier und informiere dich zur EU-Direktive.
Die EU-Direktive “Unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich Nachhaltigkeit” (CSDDD) geht bedeutend weiter als die aktuelle Schweizer Regulierung und nimmt grössere Unternehmen (> 1000 Mitarbeiter, > 450 Mio Umsatz weltweit) wie folgt in die Pflicht:
- Sie müssen ihre negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt untersuchen, vermeiden, beenden und ggf. wiedergutmachen (Sorgfaltspflichten).
- Sie haften für Schäden, die sie durch Verstösse gegen ihre Sorgfaltspflichten mitverursacht haben.
- Sie sind verpflichtet, einen Klimaplan aufzustellen und umzusetzen und so die Ziele der EU im Klimabereich und das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen.
- Die Sorgfaltspflichten gelten auch für Tochtergesellschaften sowie für die Lieferkette dieser Unternehmen.
- Damit diese Direktive nicht ignoriert wird, wird eine behördliche Aufsicht mit Weisungs- und Sanktionsmöglichkeiten eingeführt, sowie die Möglichkeit für Betroffene geschaffen, vor Gerichten in der EU auf Schadenersatz zu klagen.
Unternehmen mit Sitz ausserhalb der EU
Damit Unternehmen, die einen grösseren Umsatz (> 450 Mio EUR) in der EU erwirtschaften, aber den Sitz in einem Drittland (wie der Schweiz) haben, die Sorgfaltspflichten nicht umgehen können, müssen sie diese Richtlinie genauso erfüllen. Damit sind grosse Schweizer Firmen mit einem beträchtlichen Umsatz im EU-Raum von dieser Regulierung auch direkt betroffen.
Umsetzung in den Mitgliedsstaaten
Die Direktive wird nicht direkt wirksam, sondern die Mitgliedsstaaten müssen sie durch nationale Gesetze umsetzen. Für deren Erarbeitung haben sie bis zum 26. Juli 2026 Zeit. Am 26. Juli 2027 tritt die Konzernverantwortung für eine erste Gruppe von Unternehmen in Kraft, am 26. Juli 2029 ist sie vollständig in Kraft.
Was für Folgen hat ein Schweizer Nachhinken?
Die Schweiz ist in Sachen Konzernverantwortung mittlerweile also das Schlusslicht in Europa. Das hat Folgen:
- Die Menschenrechtsverletzungen von Schweizer Unternehmen im Ausland gehen weiter. Es ist stossend, dass die wohlhabende Schweiz unternehmerischer Freiheit nicht auch internationale Verantwortung gegenüberstellt.
- Es drohen Wettbewerbsnachteile. Für die meisten Schweizer Unternehmen ist der EU-Binnenmarkt nämlich bei weitem der wichtigste Exportmarkt überhaupt. Auch wenn sich Schweizer Unternehmen möglichst an die EU-Richtlinie halten würden, wird die Verwendung von Schweizer Produkten für EU-Unternehmen trotzdem teurer. EU-Unternehmen müssen dann selbst nachweisen, dass in ihren Lieferketten die Richtlinie eingehalten ist, statt darauf zu verweisen, dass der betroffene Zulieferer ja einer gleichartigen Regulierung in der Schweiz untersteht.
- Es droht ein Imageschaden, wenn die Schweiz 2029 ohne Sorgfaltspflicht dasteht. Unternehmen, die in der EU wirtschaften wollen, könnten dadurch die Schweiz meiden. Unternehmen, die ohne Sorgfaltspflichten operieren wollen, könnten die Schweiz als Zufluchtsort wählen und so die Grundlage für ein Schmuddelimage legen.
Was fordert die neue KVI?
Die neue KVI orientiert sich sehr stark an der EU-Direktive “Unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich Nachhaltigkeit”. Die neue KVI fordert, dass die Schweiz zur Konzernverantwortung analoge Regulierungen wie die EU einführt und dass Schweizer Grossunternehmen diese dann auch einhalten. Sie fordert Sorgfaltspflichten (für Menschenrechte und Umweltschutz) und eine unabhängige Kontrollinstanz mit Weisungs- und Sanktionskompetenz.
Die Initiative
Hier liest du die Initiative im Wortlaut. Wenn du noch Teil der Rekordsammlung werden willst, unterschreibe und schicke den Bogen schleunigst an die angegebene Adresse.
Was muss jetzt nach dem Sammelrekord passieren?
Der unglaubliche Sammelerfolg verpflichtet den Bundesrat und das Parlament nun zu schnellem Handeln. Bundesbern muss den Ball aufnehmen und im politischen Prozess ein ebenfalls rekordmässiges Tempo einschlagen. Die Versprechungen aus der Abstimmungskampagne 2020 dürfen nicht mehr nur heisse Luft sein. Die Zeit drängt: Die EU-Regulierung wirkt spätestens ab dem 26. Juli 2029. Wir brauchen jetzt Konzernverantwortung.
Verfasser: Dominic Ullmann, Vorstandsmitglied Operation Libero