NEIN zum Burkaverbot am 7. März
NEIN zum Angriff auf die Grundrechte!
Die Freiheit, zu tun, was uns beliebt, ohne uns von unseren Zeitgenossen stören zu lassen – solange wir ihnen nichts zuleide tun –, selbst wenn sie unser Benehmen für verrückt, verderbt oder falsch halten.
Was für ein Burkaverbot spricht? Nichts.
Frauen gehören vom Staat weder ausgezogen noch eingehüllt. Jede Frau soll selbst entscheiden können, wie sie sich kleiden will – alles andere ist Paternalismus. Bereits heute ist es strafrechtlich verboten, eine Frau zum Tragen eines Schleiers zu zwingen. Dennoch gehen die Befürworter*innen der Initiative davon aus, dass Frauen, insbesondere Muslimas, nicht in der Lage sind, selbständig über ihr Auftreten und ihre Kleidung zu entscheiden. Die dahinterstehende Idee, Muslimas müssten vom Staat befreit werden, weil sie als Frauen und Muslimas per se nicht in der Lage sind, selbstbestimmt zu handeln, offenbart ein zutiefst patriarchalisches und kolonialistisches Frauenbild.
Die Beweggründe einer Frau, sich eine Burka oder einen Nikab anzuziehen, gehen niemanden ausser die Frau selbst etwas an. Bereits heute ist es strafrechtlich verboten, eine Frau zum Tragen eines Schleiers zu zwingen. Für Fälle, in denen sich eine Person von ihrem Umfeld zu religiösen oder gesellschaftlichen Praktiken gezwungen fühlt, gibt es Anlaufstellen. Eben diese Organisationen betonen, dass ein Burkaverbot die Situation jener, die wirklich zum Tragen des Kleidungsstückes genötigt werden, durch ein Verbot verschlimmern würde: Solche Frauen würden neu noch dafür bestraft, dass sie das Opfer einer Straftat sind und dürften im Falle eines Burkaverbots noch isolierter sein – und hätten so auch keinen Zugang mehr zu aussenstehenden Beratungsangeboten. Die Initiative enthält kein Wort dazu, wie man den Zugang zur Justiz und zu Hilfsangeboten für Betroffene verbessern könnte.
In der Schweiz gibt es faktisch keine Burkas oder Burkaträgerinnen und nur rund 20-30 Nikabträgerinnen. Ein Grossteil der Frauen, die in der Schweiz tatsächlich eine Burka oder einen Nikab tragen, sind reiche Touristinnen aus der Golfregion, die nur kurze Zeit in der Schweiz verbringen und eine lukrative Einnahmequelle für die Tourismusindustrie sind. Die Problematik ist konstruiert und die Vorlage somit sinnlose (aber nicht harmlose) Symbolpolitik.
Die Kantone verfügen bereits nach Bedarf über Vermummungsverbote, die in sicherheitsrelevanten Situationen wie an Grossanlässen und Demonstrationen zum Tragen kommen. Auch Terroranschläge wurden bisher in Europa noch nie in einer Burka oder einem Nikab verübt, weil diese schlicht zu auffällig sind. Ein Verhüllungsverbot ist somit auch aus sicherheitspolitischer Sicht absolut überflüssig.
Die Befürworter*innen nehmen sich aufgrund der existierenden Verhüllungsverbote gerne Frankreich und Belgien zum Vorbild. Doch dieser Vergleich zieht ebenso wenig wie das vielbeschworene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR): Dieses zeigt lediglich, dass der Gerichtshof den Staaten einen grossen Ermessensspielraum einräumt, nicht jedoch, dass der Entscheid richtig oder gar sinnvoll war, geschweige denn liberal. Nur weil man etwas nach internationalem Recht machen dürfte, heisst das noch lange nicht, dass man es auch machen sollte. Konkret: Auch dem EGMR gelingt es nicht, ein überzeugendes öffentliches Interesse zu formulieren, das ein Verbot legitimieren könnte. Der Gerichtshof weist die Argumente der Gleichstellung und der Sicherheit zurück, und akzeptiert das Verhüllungsverbot einzig auf Grundlage von diffusen “Mindestanforderungen an das Zusammenleben”, im Namen derer er die Rechte und Freiheiten Dritter verletzt sieht und so ein Burkaverbot als Eingriff in die Religionsfreiheit stützt. Das Urteil und die Argumentation sind gefährlich: Mit diesem Argument könnte beispielsweise auch die Homosexualität in Russland verboten werden und überhaupt alles, was das “Zusammenleben” erschweren könnte. Es ist alles andere als freiheitlich. Darauf weisen auch die zwei abweichenden Richterinnen im EGMR-Urteil hin. Der UN-Menschenrechtsausschuss, der sich ebenfalls mit dem Verbot in Frankreich befassen musste, kam denn auch zu einem anderen Ergebnis als der EGMR und taxierte das Verbot als eine Verletzung der Religionsfreiheit und als ein typisches Beispiel intersektioneller Diskriminierung.
Die Initianten verweisen auch auf Verhüllungsverbote in muslimisch geprägten Ländern, doch bei diesen Verboten geht es weder um Gleichstellung noch um ein öffentliches Interesse, sondern um Machtspiele: Der Staat will bestimmen, was islamisch ist und was nicht und nutzt das Verbot, um andere politische Gruppen zu bekämpfen. An die Regierungen von Militärputschisten (Ägypten), Diktatoren (Syrien) und solche mit fragwürdigen Machterhaltungsstrategien (Türkei, Tunesien) sollte kein freiheitlich-demokratischer Staat seine Verfassung anlehnen.
Das Burkaverbot spaltet den Feminismus seit Jahren. Es ist ein sehr umstrittenes Thema, da die Verschleierung in bestimmten Kontexten durchaus ein Symbol der Unterdrückung der Frau darstellen kann und somit aus guten Gründen abgelehnt werden kann (aber nicht automatisch auch verboten). Doch ebenso stellt die Burkadebatte eine erneute Politisierung des Frauenkörpers dar, den man per Gesetz wahlweise ver- oder enthüllen will. Deshalb sind viele liberale Feminist*innen und Frauenorganisationen der Ansicht, dass die Selbstbestimmung der Frau im Zentrum stehen muss. Diese wird nicht gestärkt, wenn Burka- und Nikabträgerinnen zu Straftäterinnen gemacht werden und zu Hause isoliert werden. Aus diesem Grund sind auch viele Frauenhäuser und Opferhilfe-Organisationen gegen ein Verbot. Frauen mit Zwang und gegen ihren Willen “befreien” zu wollen, ist nicht nur widersprüchlich, sondern auch Ausdruck von feministischem Paternalismus.
Die Vollverschleierung ist vergleichbar mit der Sexarbeit: aus feministischer Sicht in vielerlei Hinsicht und in vielen Kontexten problematisch und prekär, jedoch glauben die wenigsten, dass ein Verbot die beste Lösung für die Betroffenen ist. Auch die Tatsache, dass die Volksinitiative vom SVP-nahen Egerkinger Komitee kommt, macht die Behauptung, es gehe ihnen um Frauenrechte, nicht gerade glaubwürdig.
In einer freien Gesellschaft entscheidet man selbst, was man zeigt. Entscheidend ist nicht, was wir gerne sehen möchten, sondern was die Freiheiten des Einzelnen sind. Ein Recht, von allen jederzeit das Gesicht zu sehen würde auch eine Pflicht zu zeigen bedingen – und würde dann auch für Sonnenbrillen oder Vollbärte gelten. Kein Gesetz schreibt uns vor, wie wir in der Öffentlichkeit herumzulaufen haben und was wir alles zu zeigen haben, solange wir niemandem etwas zuleide tun. Und das ist gut so.
Erstens wird gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht vom Staat, von der Obrigkeit oder von der Öffentlichkeit festgelegt, was zu einer Religion gehört und was nicht, sondern von den Betroffenen. Wenn eine Frau aus religiösen Gründen ihr Gesicht verschleiern will, dann fällt das grundsätzlich unter den Schutz der Religionsfreiheit. Das hat auch der EGMR so beurteilt. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit würde implodieren, wenn andere für mich bestimmen dürften, was Teil meiner Religion ist und was nicht. Zweitens spielt es gar keine Rolle, ob es zur Religionsfreiheit gehört oder nicht. Es kann auch als Ausdruck der Meinungsäusserungsfreiheit oder der persönlichen Freiheit betrachtet werden, so oder so ist es ein Eingriff in die Freiheit und in die Grundrechte des Einzelnen, der nicht gerechtfertigt werden kann, da ein Gesichtsschleier nicht in die Freiheit von anderen eingreift.
Wir sind nicht FÜR Burkas, sondern GEGEN ein Verbot und FÜR die Freiheit – das ist ein grosser Unterschied. Nehmen wir zum Vergleich die Meinungsfreiheit und denken wir dabei an ein angebliches Zitat von Voltaire: “Ich teile deine Meinung nicht, aber ich würde dafür sterben, dass du sie äussern kannst.” Dasselbe gilt für Mill, gemäss dem jede Person folgende Freiheit hat: “Die Freiheit, einen Lebensplan zu entwerfen und zu tun, was uns beliebt, ohne uns von unseren Zeitgenossen stören zu lassen – solange wir ihnen nichts zuleide tun –, selbst wenn sie unser Benehmen für verrückt, verderbt oder falsch halten“. Wir sind also selbst dann gegen ein Verbot, wenn wir die Burka ganz grundsätzlich ablehnen oder für falsch halten.
Am Gegenvorschlag ist inhaltlich nichts auszusetzen, aber er ist aus zwei Gründen problematisch: Erstens erwähnt er die Gleichstellung und Frauenrechte nur im Zusammenhang mit der Integration und in der Entwicklungshilfe, womit er das falsche Bild der Initianten reproduziert, Migrantinnen und insbesondere Musliminnen seien ganz besonders auf Gleichstellung angewiesen. Und zweitens signalisiert ein Gegenvorschlag immer auch: die Initiative greift ein berechtigtes Anliegen auf, es gibt ein zu lösendes Problem – das ist bei der Burka-Initiative schlicht nicht der Fall, sie dient nur der islamophoben Stimmungsmache.
Es ist verständlich, dass eine vollverschleierte Frau in der Schweiz Unbehagen auslöst oder gar als Provokation aufgefasst wird. Nur: Das gilt auch für viele andere Bekleidungs- und Ausdrucksformen. Aber wo kämen wir hin, wenn wir einfach alles verbieten würden, was Unbehagen auslöst oder provoziert? Irritieren zu dürfen, ist eine Grundvoraussetzung einer freiheitlichen Gesellschaft. Grundsätzlich kann man sich an John Stuart Mills Freiheits- und Schadensprinzip halten: der Mensch ist frei, solange keine Dritten zu Schaden kommen oder in ihrer Freiheit eingeschränkt werden.
Das ist nicht nur ein falsches, sondern auch ein äusserst gefährliches Verständnis von Religionsfreiheit: Religionsfreiheit heisst nicht, im öffentlichen Raum vor jeglichen Begegnungen mit religiösen Praxen geschützt zu werden. Wie absurd diese Verengung ist, wird deutlich, wenn man sich zum Vergleich vorstellt, die Meinungs- oder persönliche Freiheit würde nur in den eigenen vier Wänden gelten, nicht aber in der Öffentlichkeit. Ebenso wie die liberale Verfassung die freie Meinung und die persönliche Freiheit auch in der Öffentlichkeit schützt, so schützt sie auch religiöse Bekenntnisse.
Es gibt genau so viele Bedeutungen von Nikabs, wie es Nikabs gibt. Die Beweggründe, die Bedeutung und die Symbolik des Schleiers sind vielfältig, und keinesfalls stets als Ausdruck eines politischen oder fundamentalistischen Islams zu verstehen. Gemäss aktueller Forschung nennen verschleierte Frauen etwa die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, der Religion und dem Glauben, die persönliche Frömmigkeit oder den Wunsch, das eigene Äussere nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, als Motive für die Verschleierung. Doch in einer liberalen Gesellschaft wäre der Gesichtsschleier selbst als Ausdrucksform einer extremistischen oder fundamentalistischen Haltung geschützt, solange niemand zu Schaden kommt – genau so, wie der (religiös) fundamentalistische “Marsch fürs Läbe” mit seiner extremistischen Forderung, das Recht auf Abtreibung (für welches Frauen weltweit noch immer kämpfen müssen) abzuschaffen, nicht verboten ist. Der liberale Staat verbietet Straftaten, nicht Haltungen oder Symbole.
Die Vorstellung, die Mehrheit bestimme die geltenden Normen, denen sich alle zu unterwerfen hätten, ist eine autoritäre, keine liberale. In einer liberalen Gesellschaft sind gerade von der Norm abweichende Meinungen und Verhalten grundrechtlich geschützt, und es braucht gute Gründe, um in diese Grundrechte eingreifen zu dürfen. Alles andere ist eine Herr-im-Haus-Mentalität, die dem Grundgedanken einer liberalen Gesellschaft widerspricht. Kurz: Nur weil gewisse Länder den Schleier vorschreiben, müssen wir ihn noch lange nicht verbieten – beides ist autoritär. Frauen gehören vom Staat weder ausgezogen noch eingehüllt.
Dass es den Initianten um verhüllte Chaoten oder Hooligans geht, ist ungefähr so glaubwürdig wie ihr angeblicher Kampf für die Frauenrechte. In Tat und Wahrheit geht es dem Egerkinger Komitee, welches bereits das Minarettverbot lanciert hat, einzig und allein um die Stigmatisierung der muslimischen Minderheit in der Schweiz. Zwar ist das Verhüllungsverbot allgemein formuliert, damit seine diskriminierende Stossrichtung weniger offensichtlich ist. Doch das führt dazu, dass künftig nicht nur religiöse Schleier, sondern auch kommerzielle Maskottchen oder Halloween-Kostüme verboten wären, weil dafür explizit keine Ausnahmen vorgesehen sind. Schliesslich würde uns künftig die Polizei sagen, wann es kalt genug ist für einen Schal über dem Gesicht und ob wir eine medizinische Maske tragen dürfen.
The Simpsons Anti-Tiger Rock: