Ja heisst Ja, Operation Libero

Drei Gründe, wieso «Nein heisst Nein» im Sexualstrafrecht nicht ausreicht

Und weshalb auch die FDP- und Mitte-Frauen für «Nur Ja heisst Ja» sind

Am Dienstag entscheidet der Ständerat, ob er die Chance auf ein zeitgemässes Sexualstrafrecht verschlafen will oder nicht. Fest steht: Der «Nein heisst Nein»-Ansatz kann die sexuelle Selbstbestimmung nicht genügend schützen. Drei Gründe, weshalb es «Nur Ja heisst Ja» braucht.

Revision des Sexualstrafrechts: Worum geht’s genau?

Das geltende Sexualstrafrecht basiert auf Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts. Momentan muss in Fällen von sexualisierter Gewalt aktiver körperlicher Widerstand geleistet werden, damit rechtlich eine Vergewaltigung vorliegen kann. Das widerspricht liberalen Ansprüchen von Selbstbestimmung. Jetzt wird das Sexualstrafrecht endlich revidiert. Das sind Good News.

«Nur Ja heisst Ja» vs. «Nein heisst Nein»

Nun liegen zwei Varianten auf dem Tisch: «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein».
Die zuständige Kommission des Ständerates schlägt den «Nein heisst Nein»-Ansatz vor. Sie verlangt die aktive Ablehnung sexueller Handlungen durch die Opfer. Das Opfer muss vor Gericht beweisen, dass ein Nein kommuniziert wurde. Doch «Nein heisst Nein» wird der Realität der von sexualisierter Gewalt Betroffenen nicht gerecht.

Hier drei Gründe, wieso «Nein heisst Nein» nicht ausreicht und wieso es «Nur Ja heisst Ja» braucht.

Grund 1: Opfer reagieren mit einer Schockstarre, «Nein heisst Nein» versagt

Beim sogenannten «Freezing» erstarren die Opfer während eines sexuellen Übergriffs. Ihr Körper reagiert auf die Gefahrensituation mit einer Bewegungsunfähigkeit. Den Opfern ist es unmöglich, sich verbal und/oder nonverbal zur Wehr zu setzen. Freezing ist wissenschaftlich belegt. So hat eine klinische Studie in Schweden im Jahr 2017 ergeben, dass bei 70 % der 298 Teilnehmerinnen, die eine Vergewaltigung erlebt hatten, Freezing stattgefunden hat.

In Fällen von Freezing kann das Opfer also kein Nein kommunizieren. Der «Nein heisst Nein»-Vorschlag versagt.

Grund 2: «Nein heisst Nein» widerspricht liberalen Grundsätzen

«Nein heisst Nein» widerspricht liberalen Grundsätzen: Schweigen bedeutet nicht Zustimmen. Wenn ich etwas nicht aktiv ablehne, bin ich deswegen noch nicht dafür. Die sexuelle Selbstbestimmung ist eines der wichtigsten persönlichen Interessen, die das Gesetz in einem modernen liberalen Rechtsstaat zu schützen hat.

Zustimmung kann non-verbal oder verbal erfolgen. Es muss nicht, wie häufig in Gegenargumenten behauptet, eine schriftliche Zustimmung erfolgen. Auch mit «Nur Ja heisst Ja» gilt weiterhin die Unschuldsvermutung und die Beweislast liegt beim Opfer: Angeklagte gelten als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen werden kann. Das Zustimmungsprinzip ersetzt aber den Beweis des Widerspruchs durch den Beweis der fehlenden Zustimmung zum Sex.

Antworten auf weitere Mythen zur Zustimmungslösung findest du in diesem Blogbeitrag.

Grund 3: «Nein heisst Nein» widerspricht einer gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit

Dass Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung als Vergewaltigung gilt, entspricht einer gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit. Die Zustimmungslösung «Nur Ja heisst Ja» wurde in einer kürzlich publizierten Umfrage von GFS Bern im Auftrag von Amnesty International als die am besten geeignete Variante genannt, um Menschen vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Die Zustimmungslösung ist bereits in 12 europäischen Ländern in Kraft, letzte Woche hat auch der spanische Kongress klar Ja gesagt zu «Nur Ja heisst Ja».

Zudem erfüllt «Nur Ja heisst Ja» die seit 2018 in der Schweiz geltende Istanbul-Konvention – das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Diese hält fest: Sex ohne Zustimmung ist eine Vergewaltigung. Die Schweiz muss ihre internationalen Verpflichtungen einhalten.

Der Wind dreht: Auch Bürgerliche unterstützen «Nur Ja heisst Ja»

Der Entscheid im Ständerat wird knapp ausfallen, jede Stimme zählt. In den letzten Wochen zeichnet sich ab, dass der Wind drehen könnte in Richtung modernes Sexualstrafrecht. Darum müssen wir jetzt erst recht lautstark für «Nur Ja heisst Ja» einstehen. Unterzeichne auch du unseren Weckruf ans Parlament.


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41’316 Stimmen fordern «Nur Ja heisst Ja»
Ziel: 50’000 Unterschriften
83%

Das Zünglein an der Waage werden wohl bürgerliche Politiker*innen spielen. Bei FDP, Mitte und auch SVP gibt es immer mehr Stimmen, die sich für «Nur Ja heisst Ja» aussprechen. Wir haben die Präsidentinnen der FDP Frauen und der Mitte Frauen gefragt, wieso sie sich für die Zustimmungslösung einsetzen.

Susanne Vincenz-Stauffacher, Präsidentin der FDP Frauen, Rechtsanwältin

"Zu Beginn hatte ich Bedenken, dass eine Beweislastumkehr entsteht, was ich natürlich klar abgelehnt hätte. Diese Bedenken haben sich aber als haltlos herausgestellt. 

Ich denke nicht, dass die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung zu mehr Verurteilungen führen wird, da es sich nach wie vor um ein Vier-Augen-Delikt handelt. Es wird auch nicht so sein, dass sich nun alle Leute, die sexuelle Kontakte haben, vor einer Verurteilung fürchten müssten, weil die Zustimmung ja immer auch konkludent ausgedrückt werden kann. 

«Nur Ja heisst Ja» drückt eine Haltung aus. Eine Zustimmungslösung geht auf das Selbstbestimmungsrecht von Opfern ein.

Susanne Vincenz-Stauffacher
Susanne Vincenz-Stauffacher, Präsidentin FDP Frauen

Als Land können wir mit dieser Lösung ein Zeichen setzen, dass für uns als Gesellschaft sexueller Kontakt nur in Ordnung ist, wenn beide Ja sagen und nicht schon, wenn jemand nicht Nein sagt."

Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte Frauen, Betriebsökonomin

"Die gelebte Praxis und heutige Realität basiert schon auf der «Nur Ja heisst Ja»-Lösung. Sie entspricht dem Selbstbestimmungsprinzip jedes Menschen. Zustimmung ist die Grundlage unseres Handelns.

«Nein heisst Nein» geht mir wegen der Nichtbeachtung des «Freezing» zu wenig weit. Mir ist wichtig, dass eine Person sexuellen Handlungen zustimmt und diese nicht per se abwehren muss.

Christina Bachmann-Roth
Christina Bachmann-Roth, Präsidentin Mitte Frauen

So ist das Leben und so soll auch das Gesetz zukünftig sein."

 

Rütteln wir den Ständerat wach: Es braucht «Nur Ja heisst Ja»

Es zeigt sich: Die Zustimmung aller Beteiligten muss beim Sexualstrafrecht im Zentrum stehen. Sex ohne Zustimmung ist eine Vergewaltigung. Punkt. Einzig die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung kann die sexuelle Selbstbestimmung genügend schützen.

Damit der Ständerat den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und ​​die Chance auf ein zeitgemässes Sexualstrafrecht nicht verschläft, müssen wir die Parlamentarier*innen jetzt aufwecken und von «Nur Ja heisst Ja» überzeugen.

Verfasserin: Laila Ulmann, Team Sexualstrafrecht