Weil es um mehr als Netflix geht: Ein liberales JA zum Filmgesetz
Auch Filmpolitik ist Europapolitik
Beim Filmgesetz geht es nicht nur ums Schweizer Filmschaffen in Zeiten von Netflix und Co: Die Abstimmung steht auch im Zeichen der Europapolitik. Eine Ablehnung könnte unsere zukünftige europäische Zusammenarbeit im Digital-, Kultur- und Bildungsbereich stark erschweren. Doch im Gegenzug braucht es einen gesamteuropäischen Filmmarkt ohne Netzsperren.
Die Schweiz ist Teil Europas. Das zeigt sich in praktisch jedem Politikbereich. Doch leider geht diese europapolitische Komponente allzu oft vergessen – oder wird absichtlich ignoriert.
Dies ist auch in der derzeitigen Diskussion rund um das neue Filmgesetz der Fall. Das Filmgesetz fordert, dass Streamingdienste und ausländische TV-Anbieter neu 4 Prozent des in der Schweiz erzielten Umsatzes in das hiesige Filmschaffen investieren müssen. Das gilt bereits heute für inländische Fernsehanbieter. Doch wo genau ist jetzt die Verbindung zu Europa?
Das Filmgesetz übernimmt eine europäischen Richtlinie
Es geht bei dieser Abstimmung aber nicht nur um den Schweizer Film. Sondern auch darum, wer die Kontrolle über die digitalen Plattformen, die Streaming-Dienste wie Netflix und Disney+ und den Filmvertrieb hat und wie diese ausgestaltet ist. Wie in vielen anderen Bereichen spielt die europäische Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Vieles spricht dabei für das neue Filmgesetz. Denn die Schweiz riskiert mit einem Nein am 15. Mai in noch weiteren europapolitischen Bereichen aussen vor zu bleiben, als dies schon heute der Fall ist. Wieso?
Neben der 4-Prozent-Quote ist die weitere Kernbestimmung des Filmgesetzes die Übernahme der europäischen Richtlinie zu den audiovisuellen Mediendiensten (AVMD). Diese Richtlinie fordert, dass das Angebot der Streamingdienste in Europa zu 30 Prozent aus Filmen oder Serien bestehen müssen, die in Europa produziert wurden. Es ist ein politischer Kompromiss, der in der EU bereits heute in Kraft ist.
Voraussetzung für die künftige Teilnahme am europäischen Kulturmarkt
Diese Richtlinie ist eine Voraussetzung für die Schweizer Teilnahme am europäischen MEDIA-Filmförderungsprogramm – aus dem die Schweiz nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative 2014 ausgeschlossen wurde. Für die vernetzte Schweizer Filmszene war dies ein herber Rückschlag. MEDIA hat zum Ziel, die kulturelle und sprachliche Vielfalt und das Kulturerbe Europas zu fördern. Mit einem Nein zum Filmgesetz würde eine künftige Assoziierung der Schweiz an MEDIA stark erschwert oder gar langfristig verhindert.
Es geht aber um mehr als Filmförderung: Seit seiner Lancierung vor bald 30 Jahren ist MEDIA mit zwei anderen Erfolgsgeschichten der europäischen Zusammenarbeit eng verwoben: mit dem Bildungsprogramm Erasmus und dem Forschungsrahmenprogramm Horizon.
Zentral für die Zusammenarbeit im Digitalbereich und in der Forschung
Zwar ist eine Assoziierung an MEDIA und Erasmus keine formelle Bedingung für die Assoziierung an Horizon. Doch diese Programme sind für das europäische Projekt identitätsstiftend. Ein Schweizer Wunsch, bei der Forschungszusammenarbeit mitzumachen, die Kultur aber ausklammern, dürfte von unseren europäischen Partner*innen wenig goutiert werden.
Noch wichtiger könnte die Übernahme der Richtlinie für zukünftige Partnerschaften im Digitalbereich werden. In Europa entsteht heute schrittweise ein digitaler Binnenmarkt, der weitgehend sektorenübergreifend reguliert wird. Die audiovisuellen Dienste, wozu Streaminganbierter gehören, sind ein wichtiger Bestandteil davon. Wenn dieses Puzzlestein fehlt, kann der gegenseitige Marktzugang im Digitalbereich voraussichtlich nicht ausgebaut werden.
Gegen Machtkonzentration und Protektionismus
Das Filmgesetz ist aber auch aus wettbewerbspolitischer Sicht sinnvoll. Im kleinen und verzettelten Schweizer Markt ist eine gewisse internationale Durchlässigkeit für kulturelle Angebote unumgänglich. Dies wird heute jedoch von willkürlichen Netzsperren an der Landesgrenze verunmöglicht. Wem ist es noch nicht passiert, beim Versuch, einen Film, eine Serie, eine Talkshow oder einen Sportevent auf einer ausländischen Plattform zu schauen, auf die Meldung “Diese Inhalte sind aus rechtlichen Gründen in Ihrem Land nicht verfügbar” zu stossen?
Im Schweizer Film- und Medienmarkt entstehen dadurch verfilzte Oligopole. Unter den gegenwärtigen Geoblocking-Bedingungen gibt es mit einigen wenigen Ausnahmen für “Mainstream”-Nachfragen praktisch keinen funktionierenden Wettbewerb zwischen konkurrierenden Anbietern. Aus liberaler Sicht ist diese Art von Marktverzerrung sowohl wirtschaftspolitisch als auch demokratiepolitisch um einiges problematischer als Lenkungsabgaben zugunsten der einheimischen Filmproduktion.
Besser als nationale Ansätze
Gegen diese Entwicklung hin zur Machtkonzentration à la Berlusconi und Murdoch ist eine aktive Beteiligung am europäischen Digitalmarkt der aussichtsreichste Ansatz, und diese Vorlage ist der erste Stein eines komplexen Puzzles.
Die europäische Wettbewerbspolitik hat ein grösseres Potenzial als nationale Ansätze. Einerseits verfügt sie über griffige Bestimmungen gegen Wettbewerbsverzerrungen und beherrschende Stellungen. So kann zum Beispiel gefordert werden, dass Telekom-Anbieter ihre Infrastruktur auch für konkurrierende Streamingdienste eröffnen, und dass sie ihr Filmangebot nicht mit den hohen Margen der Internet-Abos querfinanzieren.
Kein Selbstzweck: Forderungen an die Digitalpolitik und die Filmschaffenden
Die Beteiligung der Schweiz am audiovisuellen Markt der EU sollte jedoch kein Selbstzweck sein. Es ist daher wichtig, im Rahmen dieser Abstimmung Forderungen an die Europäische Digitalpolitik und an die Schweizer Filmschaffenden zu stellen.
Aus liberaler Sicht ist es zentral, dass geografische Netzsperren und Geoblocking auf audiovisuelle Mediendienste aufgehoben werden. Dies kann nur auf der Ebene der EU vorangetrieben werden. Die Auswahl an Serien und Filmen würde sich im Vergleich zur jetzigen Situation massiv erweitern.
Ein JA zum Filmgesetz soll jedoch auch als forderndes JA gegenüber der Filmschaffenden interpretiert werden. Als Gegenleistung zur Lenkungsabgabe zugunsten des Schweizer Films ist zu erwarten, dass man die Chancen und Herausforderungen eines offenen Filmmarktes hinnimmt, und den Grundsatz eines gesamteuropäischen Filmmarktes ohne Netzsperren anerkennt.
Es spricht somit aus unserer liberalen Warte und aus europapolitischer Sicht viel für ein JA zum Filmgesetz am 15. Mai.