Das PMT verschlimmbessert die Terrorbekämpfung
Gastbeitrag des Kriminologen Ahmed Ajil
«Die präventiven Massnahmen verschlimmbessern die Mittel der Terrorbekämpfung, weil sie dem staatlichen Terror Tür und Tor öffnen.» Der Kriminologe Ahmed Ajil mit seinem Gastbeitrag über die Gefahren des PMT.
Während Konsens zu bestehen scheint, dass Terrorismus bekämpft werden muss, gibt es grosse Unklarheit darüber, was man denn nun überhaupt bekämpfen soll und wie. Im Grunde genommen ist das, was als «Terrorismus» bezeichnet wird, deshalb problematisch, weil es das Leben von Menschen kostet, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind. «Terrorismus» – d.h., die politisch-ideologisch motivierte Gefährdung von Leib und Leben von Nichtkombattanten – kann also sowohl von staatlichen («collateral damage») als auch nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Und staatlicher und sowie nichtstaatlicher Terror hängen zusammen und nähren sich gegenseitig. Der heutige Terrorismus kann daher nicht losgelöst vom verheerenden «Global War on Terror» post-9/11 verstanden werden.
Nach einer zuerst nach auswärts gerichteten militärischen Zerstörungsstrategie unter dem Lead der USA wurde die Antiterrorstrategie («Counter-Terrorism») allmählich durch eine Antiradikalisierungsstrategie («Counter-Radicalisation») ergänzt. Im Zusammenhang mit den Attentaten in Madrid (2004) und London (2005) etablierte sich nämlich der Begriff der «Radikalisierung», um den Prozess der Hinwendung zu politisch-ideologisch motivierter Gewalt zu beschreiben: Vereinfacht ausgedrückt wurde eine Verbindung hergestellt zwischen gedanklicher und physischer Radikalisierung. Um Gewalttaten zu verhindern, sollte man also möglichst schon dann eingreifen, wenn eine Person sich gedanklich «radikalisiert», also z.B. gewaltverherrlichenden Ideologien verschreibt. Im Streben danach, jegliche «Radikalisierung» im Keim zu ersticken, begannen Staaten rund um die Welt Sympathiehandlungen für verbotene Gruppierungen unter Strafe zu stellen, mit der Begründung, dass damit durch Spezial- und Generalprävention dem Phänomen entgegengewirkt werden könne. In Anbetracht der verheerenden Anschläge und des Bedrohungsszenarios scheint zumindest nachvollziehbar, dass sich die meisten Staaten entscheiden, Handlungen im Vorfeld einer möglichen Gewalttat zu kriminalisieren.
Die Schweiz stellt hier keine Ausnahme dar. Seit mehreren Jahren wird der schweizerische Präventivstaat ausgebaut, im Kontext eines hauseigenen «Swiss War on Terror». Diese Entwicklungen schliessen zunächst «weiche» Präventionsarbeit im Rahmen der Integration, Bildung, sozialen Arbeit, Anlaufstellen, etc. mit ein. Dazu zählt auch «harte» Prävention wie z.B. Ausweisungen, Einreiseverbote, Asylunwürdigkeit, Ausbürgerung, Unterbruch des Einbürgerungsverfahrens, Ein- und Ausgrenzung, Kontaktpflicht, elektronische Überwachung, etc. Neben diesen administrativen Massnahmen ist der archetypische Pfeiler der harten Prävention das Strafrecht.
Auf strafrechtlicher Ebene wird in der Schweiz heute extrem früh eingegriffen und bestraft – in einer präventiven Sphäre, in welcher der Zusammenhang mit gewalttätigen Handlungen oft schwer greifbar ist. So werden vor dem Bundesstrafgericht heute Personen verurteilt, denen «lediglich» Sympathiebekundungen auf sozialen Medien wie Facebook oder der Versand einer Handvoll Fotos und Videos an Bekannte via WhatsApp angelastet werden können. Bereits heute besteht daher kaum mehr Spielraum für jegliche Hinwendung zu sogenannten terroristischen Gruppierungen. Das Parlament hat zudem in der Herbstsession 2020 einer weiteren Vorlage zugestimmt, welche eine Verschärfung des Strafrechts vorsieht, die ab dem 1. Juli 2021 in Kraft treten wird. Unter anderem macht sich nun auch derjenige strafbar, der eine kriminelle oder terroristische Organisation ausserhalb ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt. Damit wird die Grenze der Strafbarkeit weiter heruntergeschraubt, während gleichzeitig das Strafmass erhöht wird.
«Die präventiven Massnahmen verschlimmbessern die Mittel der Terrorbekämpfung, weil sie dem staatlichen Terror Tür und Tor öffnen.»
Die Schweiz verfügt also heute schon über ein ausgeprägt präventives Strafrecht, das bereits weit vor einer geplanten, versuchten oder begangenen Gewalttat einsetzt und straft. Das schweizerische strafrechtliche Arsenal ist für sogenannte «Gefährder» mehr als gewappnet. Dass die Polizei erst aktiv werden könne, wenn eine Straftat begangen wurde, ist auf jeden Fall eine eklatante Unwahrheit – einer von vielen «Errors» im Narrativ der PMT-Befürworter*innen.
Statt diesen Realitäten Rechnung zu tragen, schüren die Befürworter*innen des PMT Ängste und Feindbilder und nutzen die Unsicherheit in der Bevölkerung, um das Szenario einer imminenten Gefahr zu zeichnen, gegen welche man sich heute angeblich nicht wehren könne. Die Nennung von «Terror» genügt, um im kollektiven Bewusstsein verankerte Bilder von Verwüstung und Gräueltaten hervorzurufen. In einem solchen emotional und politisch aufgeladenen Klima ist es ein leichtes Spiel, weitere präventive Massnahmen zu legitimieren und dadurch den Aufstieg des schweizerischen Präventivstaats zu beschleunigen.
«Prävention um jeden Preis» lautet das Motto des Präventivstaats, was zwar theoretisch plausibel scheint, in der Praxis jedoch mehr Probleme schafft als es zu lösen scheint.
Je weiter sich die Strafverfolgung von einer eigentlichen Gewalttat in den Bereich angeblicher «Vorbereitungshandlungen» verschiebt, desto dünner wird nämlich das rechtsstaatliche Eis, auf welchem sich die Strafverfolgungsbehörden bewegen. Zum einen ist die Ermittlungsarbeit in einer zunehmend «präventiven» Sphäre gezwungenermassen von Selektivität geprägt. Man konzentriert sich auf bestimmte Phänomene und Gruppierungen, orientiert sich an Charakteristiken, welche als sicherheitsrelevant konstruiert werden, wie die politische Gesinnung oder die Intensität der Religionsausübung. Und diese Priorisierung hängt vom politischen und sozialen Kontext ab – ein Kontext, der in stetigem Wandel ist. Die Befürchtung, dass dies zu einer Versicherheitlichung bestimmter Personengruppen führen könne, hat sich im Kontext des «War on Terror» zweifellos bewahrheitet. Je nach Bedrohungsszenario und Definition dessen, was als «radikal» gilt, wird der Fokus jedoch zukünftig auch auf andere «Risikogruppen» gelenkt werden können, wie die Tendenzen in unseren Nachbarländern zeigen.
Zudem muss mit einem Vorrücken in die Vorbereitungssphäre eine Verbindung zwischen einer Bagatellhandlung und den Verbrechen einer kriminellen Organisation zunehmend konstruiert werden, da sie nicht aufgrund konkreter Handlungen belegt werden kann. Dass zum Beispiel eine Person, die aus Wut, Empörung, Provokation oder welchem Grund auch immer, ein Bild oder ein Video auf Facebook teilt, auch effektiv zu Gewalthandlungen bereit ist, ist erst noch zu belegen und nur in seltensten Fällen zutreffend. In den Augen des Präventivstaats wird diese Nuancierung jedoch bewusst ausser Acht gelassen.
In Anbetracht der obigen Ausführungen stellt sich ernsthaft die Frage, wo präventive Massnahmen denn nun eigentlich ansetzen sollen. Wenn jede Form der Sympathiebekundung bereits strafbar ist, müsste sich das PMT auf Handlungen beziehen, die sich unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit befinden, oder gar in Fällen eingesetzt werden, in denen das Verfahren eingestellt werden muss, weil der Person nichts angelastet werden kann. Konkret bedeutet das, dass sich die Person, die sich nicht einmal einer Sympathiebekundung überführen lässt, dennoch Massnahmen unterziehen müsste, die bis zum Hausarrest reichen können. Exzessive und schwer kontrollierbare polizeilich-präventive Massnahmen verschlimmbessern die Mittel der Terrorbekämpfung, weil sie dem staatlichen Terror Tür und Tor öffnen.
Ahmed Ajil ist Kriminologe und doktoriert an der Ecole des sciences criminelles der Universität Lausanne zu politisch-ideologisch motivierter Mobilisierung und Gewalt im Zusammenhang mit der arabischen Welt. Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten analysiert er das Schweizer Antiterror-Dispositiv. UNIL, LinkedIn, Twitter