FDPler und Jurist bestätigt: “Tatsächlich – ein Errorgesetz!”
Wieso FDP-Mitglied Patrice Martin Zumsteg das PMT ablehnt
Am 13. Juni stimmen wir über das PMT-Gesetz ab. FDP-Mitglied und Jurist Patrice Martin Zumsteg hat das umstrittene Gesetz unter die Lupe genommen und weiss: Es ist gefährlich schlecht.
«Handeln bevor es zu spät ist!» oder «Errorparade der Bundesrätin!»? Bei Abstimmungskämpfen, in welchen mit der Sicherheit der Bevölkerung argumentiert wird, sind die grossen Schlagworte noch schneller ausgesprochen, als es sonst schon der Fall ist. Umso mehr lohnt sich dann jeweils ein genauer Blick auf die Vorlage. Genau dies ist auch beim PMT nötig, über welches wir am 13. Juni 2021 abstimmen werden.
Dazu möchte ich drei Dinge hervorheben:
1. Für uns alle gefährlich
Erstens ist die Vorlage gefährlich. Nicht nur weil die neuen Massnahmen auch gegen Kinder ab 12 respektive 15 Jahren (Hausarrest) angewendet werden könnten. Und auch nicht nur deshalb, weil der Gutachter der kantonalen Polizeidirektor*innen festgestellt hat, dass sich der Hausarrest nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbaren lässt. Nein, die Massnahmen sind für uns alle gefährlich.
Schauen wir nochmals etwas genauer hin, nämlich in das Protokoll der Debatte des Ständerats vom 9. Dezember 2019. Dort führte Karin Keller-Sutter selbst aus: «Es ist natürlich nicht ganz unbedenklich, wenn man in einem Staat Personen dann einfach nur aufgrund ihrer Gesinnung inhaftiert. Das ist schwierig. Man muss sich immer überlegen, wie es wäre, wenn ein solches Instrument in den Händen des politischen Gegners wäre. Das möchte ich mir also nicht unbedingt vorstellen müssen.»
Das Problem hier ist, dass genau dies hätte geschehen müssen. Die Mitglieder des Bundesrats und des Parlaments hätten sich vorstellen müssen, wie sie die neuen Möglichkeiten des Bundesamts für Polizei beurteilen würden, wenn sie plötzlich als Gefährder*innen eingestuft werden. Hätten Sie es getan, hätten sie hoffentlich gemerkt, dass sie klar zu weit gegangen sind.
Alle politisch aktiven Personen werden mit dem PMT zu potenziellen Gefährder*innen. Davor haben selbst die Befürworter*innen wie Karin Keller-Sutter oder Mauro Tuena Angst. Klingen auch bei dir die Alarmglocken?
Laut der neusten Umfrage vom 7. Mai wollen 67 Prozent der Stimmbevölkerung das PMT-Gesetz am 13. Juni annehmen. Leider wird das Thema von anderen wichtigen Abstimmungsthemen überschattet und es gab bisher kaum eine öffentliche Debatte. Da sollten schon zum ersten Mal die Alarmglocken läuten.
Denn das PMT ist gefährlich schlecht. Es setzt nicht nur unsere rechtsstaatlichen Errungenschaften wie die Unschuldsvermutung, die Gewaltenteilung und unsere Grundrechte aufs Spiel, sondern macht jede gesellschaftspolitisch aktive Person zum*r potenziellen Gefährder*in. Obwohl das PMT weit in unsere Freiheiten eingreift, haben Bundesrat und Parlament gepfuscht, gemogelt und hemmungslos übertrieben.
Selbst bei Karin Keller-Sutter klingeln die Alarmglocken
Was viele nicht wissen: Selbst die Befürworter*innen des PMT streiten nicht ab, dass das Gesetz enormen Schaden anrichten kann. Auch sie haben Angst, dass es in den falschen Händen gegen politisch missliebige Personen eingesetzt werden kann. Sogar eine Karin Keller-Sutter, die für das Gesetz zuständige Justizministerin, könnte dann dank PMT ohne den Verdacht auf eine Straftat und ohne Anklage zu Hausarrest verdammt werden – nur weil sie die “staatliche Ordnung” durch die “Verbreitung von Furcht und Schrecken” verändern will. Was Furcht und Schrecken heisst, ist natürlich Ansichtssache.
In der Parlamentsdebatte vom 9. Dezember 2019 hat Karin Keller-Sutter diese Angst auch offen und ehrlich ausgesprochen: “Es ist natürlich nicht ganz unbedenklich, wenn man in einem Staat Personen dann einfach nur aufgrund ihrer Gesinnung inhaftiert. Das ist schwierig. Man muss sich immer überlegen, wie es wäre, wenn ein solches Instrument in den Händen des politischen Gegners wäre. Das möchte ich mir also nicht unbedingt vorstellen müssen.”*
2. Keine Begrenzung der Macht
Zweitens will die Vorlage Machtausübung ohne Begrenzung. Das PMT verspricht mehr Sicherheit, aber eigentlich schafft es Massnahmen, die dem Bundesamt für Polizei äusserst weitreichende Möglichkeiten geben (Stichwort Hausarrest). Gleichzeitig sind die Begriffe, welche das Gesetz verwendet – Gefährder*in, Aktivität, Begünstigung von Furcht und Schrecken – sehr unbestimmt.
Um sie anwenden zu können, sind Prognosen über die Zukunft nötig. Nach Ansicht des Bundes soll dabei schon das Setzen eines Likes beim falschen Video ein Hinweis auf eine künftige Tat sein.
Das sind nicht einfach «Prognoseunsicherheiten», wie die Jurist*innen von Karin Keller-Sutter schreiben. Das ist Wahrsagerei, die am Ende vor allem eines schafft: Unsicherheit über die Grenzen staatlicher Macht.
Dabei wird das Bundesamt für Polizei auch nicht systematisch durch die Justiz kontrolliert. Eigentlich verlangt das Bundesgericht für Polizeirecht, das zu unbestimmt formuliert ist, eine Kompensation durch standardisierte Verfahren. Diese Anforderung wird umso strenger gehandhabt, je weitreichendere Grundrechtseingriffe möglich sind. Beim PMT müssten also starke verfahrensrechtliche Absicherungen vorhanden sein.
Üblich ist es, eine vorgängige Kontrolle der Massnahmen durch die Gerichte vorzusehen. Die Justiz müsste also vor der Umsetzung der neuen Möglichkeiten im Einzelfall deren Rechtmässigkeit prüfen können. Aber auch das fehlt im PMT. Vielmehr dominiert das Bundesamt für Polizei das Verfahren und ist nur bei der schärfsten Massnahme, dem Hausarrest, auf die Zustimmung eines Gerichts angewiesen.
3. Ohne rechtliche Kompetenz
Drittens will die Vorlage Machtausübung ohne ein Fundament. Sie verspricht mehr Koordination durch den Bund, aber eigentlich schafft sie eine Zentralisierung. Obwohl die Kantone für die Polizei zuständig sind und der Bund keine – nochmals: keine! – verfassungsrechtliche Kompetenz zum Erlass des PMT hatte, will er die neuen Massnahmen bei sich zentralisieren. Föderalismus und Vertrauen in die Kantone? Fehlanzeige.
In der Vernehmlassung hatten sechs Kantone – Bern, Nidwalden, Obwalden, Schaffhausen, Solothurn und Thurgau – darauf hingewiesen. In der offiziellen Zusammenfassung der Vernehmlassungsantworten, die der Bundesrat im Rahmen seiner Botschaft an das Parlament weiterleitete, fehlt dieser Hinweis aber. Ebenso fehlen Überlegungen dazu in den Erläuterungen des Bundesrats zu Handen der Stimmbürger*innen, dem Abstimmungsbüchlein. Dabei ist eine genügende Verfassungsgrundlage bei der Gesetzgebung zentral. Die Stimmbürgerschaft sollte darüber diskutieren (können), was durch die fehlende Information verhindert wird.
Aus all diesen Gründen muss man nach einem genaueren Blick auf das PMT sagen: Machtausübung ohne Begrenzung und Fundament ist gefährlich und ein Gesetz ohne Fundament und Begrenzung ist tatsächlich – ein Errorgesetz. Deshalb braucht es am 13. Juni 2021 ein deutliches Nein zum PMT!
Patrice Martin Zumsteg ist Mitglied von Operation Libero und der Stadtzürcher FDP. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Staats- und Verwaltungsrecht an der ZHAW School of Management and Law, Winterthur, und als Rechtsanwalt in Zürich.