ERRORGESETZ: Gefährlich schlecht
NEIN zum Errorgesetz (PMT) am 13. Juni.
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DAS ERRORGESETZ IST GEFÄHRLICH SCHLECHT, WEIL ES...
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Die Terrorismus-Definitionen von UN-Sicherheitsrat, EU und anderen Staaten haben etwas gemeinsam: Terrorismus umfasst das Verüben von schweren Straftaten, oder hat jedenfalls das Verüben solcher Straftaten zum Ziel. Im PMT ist das radikal anders: Als “terroristische Gefährder*innen” gelten schon, wer angeblich etwas plant, was überhaupt nicht strafbar wäre, wenn es wirklich ausgeführt würde.
Die schwammige Definition von “Gefährder*innen”, des zentralen Begriffs des Gesetzes, ist gefährlich. Es braucht keinen “Verdacht”, sondern nur “Anhaltspunkte”, dass jemand “Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung” verfolgt. Welche politisch aktive Person will die staatliche Ordnung nicht verändern?
Diese Definition lässt sich praktisch auf jede gesellschaftskritisch aktive Person anwenden. Es ist ein Gesetz, bei dem die Bürger*innen nur hoffen können, dass die Behörden sich selber Zurückhaltung auferlegen, wenn sie es anwenden. Denn selbst die Befürworter*innen streiten nicht ab, dass die uferlose Gefährder*innen-Definition ohne weiteres auch auf Greta Thunberg und Christoph Blocher angewandt werden könnte.
Bisher war es so, dass das Strafrecht besonders weit in die Sphäre des Einzelnen eingreifen konnte. Bis hin zum Freiheitsentzug. Dafür war aber auch ein besonders sorgfältig geführter Prozess vorgeschrieben: Unschuldsvermutung, Öffentlichkeitsprinzip, gerichtliche Kontrolle und vieles mehr.
Aber das PMT ist nicht Teil des Strafrechts: Es behauptet nicht, dass jemand einer Straftat verdächtigt werde. Es hat nicht das Sühnen von Schuld oder die die Resozialisierung potentieller Täter*innen zum Ziel, sondern die Verwaltung von als Gefährder*innen eingestuften Menschen, die weder etwas Gefährliches getan haben noch verdächtigt werden, nächstens etwas Gefährliches zu tun.
Das Errorgesetz möchte Straftaten verhindern, bevor selbst die vermuteten Täter*innen einen Plan dazu haben. Das ist ein Alptraum, denn niemand kann sich vom Vorwurf befreien, er oder sie wäre in der Zukunft mal Täter*in geworden. Die Unschuldsvermutung läuft einfach ins Leere. Es ist kein Wunder, dass dieser Schritt zur “vorhersagenden Polizeiarbeit” der Protoyp des dystopischen Science Fiction Stoffes ist, wie etwa in “Minority Report”.
Das PMT fährt sehr drastische Massnahmen auf – bis hin zum Freiheitsentzug in den eigenen vier Wänden –, aber es ist befreit von den Sicherungen im Strafprozessrecht.
Das PMT ist Repression
- ohne Straftat, die es zu sühnen gäbe
- ohne Prozess, der sie ermittelt
- ohne die Möglichkeit, seine Schuld zu tilgen
Das PMT schafft ein rechtliches Niemandsland, aus dem man kaum noch rauskommt. Wer einmal Gefährder*in ist, bleibt Gefährder*in. Niemand weiss genau, wie die behördliche Einschätzung zustande kam oder wie man sie wieder los wird. Diese Ausweglosigkeit macht das PMT zu einem besonders unheimlichen und gefährlichen Gesetz.
Das PMT kann nur in seinem technologischen und digitalpolitischen Kontext verstanden werden. Denn wie könnte der Staat heutzutage Gefahren erkennen, bevor sie sich manifestieren? Die Antwort ist simpel: Daten, Daten, Daten, Algorithmen, Algorithmen, Algorithmen. Zur Zeit der Fichenaffäre der 1980er Jahre musste der Staat noch auf mühselige Art und Weise Daten über potenzielle Gefährder*innen sammeln.
Heute hinterlassen wir alle eine breite Datenspur. Der Gedanke hinter dem PMT ist, dass der Staat dank Daten und Algorithmen Gefährder*innen entdecken kann, bevor sie strafrechtlich in Erscheinung treten. Das löst einen unstillbaren Datenhunger aus. Der Staat wird alle Datenlücken schliessen wollen, um für vermeintlich 100-prozentige Sicherheit sorgen zu können.
Diese Entwicklung ist – ohne Errorgesetz, öffentliche Debatte und teilweise ohne gesetzliche Grundlage – bereits in vollem Gange: Schon heute setzen kantonale Polizeibehörden Gefährder*innen-Algorithmen ein, die in der Lawine von Daten das Muster der Gefährlichkeit von Individuen erkennen sollen. Die Resultate der rudimentären Algorithmen dienen als Grundlage für Massnahmen. In einem Kanton stehen laut einer HSG-Studie schon 370 Namen auf der Listen mit “Gefährder*innen”.
Das ist brandgefährlich, denn der Staat geht bisher konzeptlos und glücklos (z.B. Umgang Pandemie, E-ID) mit den schwierigen technischen, ethischen, grund- und datenschutzrechtlichen Fragen um, die sich mit der Digitalisierung seiner Tätigkeit stellen. Ausgerechnet in der präventiv-repressiven Polizeiarbeit, wo die Digitalisierung mit Argusaugen verfolgt werden müsste, schafft der Gesetzgeber enorme Macht mit minimaler Kontrolle. Das PMT ist daher eine explosive Zutat zu der ohnehin schon problembehafteten Digitalisierung des Staates.
Ein Rechtsstaat ist auf Institutionen angewiesen, die permanent sicherstellen, dass er die rechtlichen Schranken respektiert. Je heftiger ein Gesetz in die Sphäre des Einzelnen eingreift – wie im Fall des PMT –, desto griffiger muss die (gerichtliche) Kontrolle sein. Würde man meinen. Das Errorgesetz macht aber genau das Gegenteil.
Die Kontrolle der Macht ist im PMT auf das absolute Minimum reduziert. Trotz dem enormen Instrumentarium für Repression, das dem Staat in die Hände gegeben wird, reduziert das Errorgesetz die gerichtliche Kontrolle über diese Eingriffe auf das gerade noch vorgeschriebene Minimum. Nur gerade der Hausarrest muss unmittelbar von einem Gericht überprüft werden – weil er ein Freiheitsentzug ist und es daher eine völkerrechtliche Pflicht gibt, ihn gerichtlich zu überprüfen. Die anderen Massnahmen werden weder automatisch noch zeitnah von einem Gericht überprüft.
Das PMT nimmt damit nicht nur in Kauf, es ermutigt geradezu, dass der Staat die Grenzen überschreitet, die das Recht ihm setzt, und dabei von den Gerichten nicht oder erst, wenn es zu spät ist, zur Ordnung gerufen werden kann. Beim PMT ist nicht mehr das Recht Grundlage und Schranke des staatlichen Handelns, sondern das Motto “Not kennt kein Gebot”, die Grundregel des Polizeistaates.
Wo offenbar Gefahr lauert, dort sind die gesetzlichen Schranken nicht so wichtig und der Staat darf erstmal einfach handeln, wie es ihm richtig scheint. Das PMT führt damit ein polizeistaatliches Element ein, ein grundlegender Fremdkörper in einem Rechtsstaat. Es ist unwahrscheinlich, dass die Behörden, die mit so viel schrankenloser Macht ausgestattet werden, nicht auch sehr schnell Gefallen daran finden.
Die uferlose Gefährder*innen-Definition, die drastischen Massnahmen und die fehlende gerichtliche Überprüfung sind ein grundlegender Angriff auf die Menschenrechte. Die Menschenrechtskommissarin des Europarates hat die Schweiz ausdrücklich davor gewarnt, dass das Gesetz “das Risiko eines übermässigen und willkürlichen Eingriffs in die Menschenrechte birgt”.
Dazu gehört beispielsweise der Freiheitsentzug in der eigenen Wohnung ohne Anklage, der klar gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst. Die Bundesrätin beruft sich zwar immer wieder auf ein Gutachten von Prof. Donatsch, um die angebliche EMRK-Konformität des PMT zu beteuern. Doch dieses Gutachten besagt in keiner Weise, dass der im Errorgesetz vorgesehene Hausarrest EMRK-konform sei. Im Gegenteil. Wo die Bundesrätin dies behauptet, wettet sie einfach darauf, dass niemand dieses Gutachten gelesen habe.
Das Errorgesetz will es den Polizeibehörden auch erlauben, drastische Zwangsmassnahmen gegen Kinder ab 12 Jahren zu erlassen. Und der Hausarrest ist schon bei Jugendlichen ab 15 Jahren zulässig. Die Schwere dieser Eingriffe stehen im Widerspruch zum Jugendstrafrecht, das Freiheitsentzug gegen Minderjährige nur im absoluten Ausnahmefall vorsieht, und mit der Uno-Kinderrechtskonvention. Für Minderjährige sind im Errorgesetz keine besonderen Verfahrensrechte vorgesehen.
Das PMT verstösst aber auch gegen die Schweizer Verfassung, insbesondere gegen die darin verankerte föderalistische Kompetenzordnung. Die sicherheitspolizeiliche Arbeit ist kantonale Aufgabe. Das PMT setzt sich darüber hinweg. Ganz nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht. Wenn es um Gefährder*innen geht, scheint sich die Staatsmacht nicht an die üblichen Schranken halten zu müssen, die die Verfassung ihr setzt.
Das Errorgesetz ist ein Signal an die Bevölkerung: “Pass bloss auf, ein*e ‘Gefährder*in bist du schnell hierzulande!” Dieser subtile Effekt der Selbstzensur ist der vielleicht verbreitetste und gefährlichste Effekt staatlicher Überwachungsmassnahmen.
Der Whistleblower Edward Snowden beschreibt dieses Phänomen im Dok-Film Citizen 4 so: “Ich habe erlebt, wie die Leute angefangen haben, sich selber zu überwachen, Witze darüber zu machen, dass sie eh auf ‘der Liste’ landen. (...) Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, sagen, sie seien vorsichtig, was sie in Suchmaschinen eingeben, weil sie wissen, dass das protokolliert werde. Und das ist eine intellektuelle Einschränkung.”
Diese Selbstüberwachung in dem Wissen darum, dass man vom Staat überwacht werden könnte, nennt man auf Englisch “Chilling Effect”. Ein Abkühlungs-Effekt, der bewirkt, dass man nicht mit derselben Unbefangenheit, demselben Vertrauen und mit derselben Neugier auf andere zugeht, sich Meinungen bildet oder Meinungen äussert, wie man das gerne tun würde, sondern sich selber dabei zensiert. Nicht, weil der Staat etwas verboten hat, sondern weil er signalisiert: “Pass besser auf, was du sagst und tust und wie du dich online verhältst, es braucht nicht viel und wir können dir einen Strick daraus drehen.”
Statt dass der Staat uns überwacht, macht er uns zu unseren eigenen persönlichen Agent*innen, die sich selber permanent überwachen. Hier kommt wieder die uferlose Gefährder*innen-Definition ins Spiel, die auf praktisch alle angewendet werden kann, vor allem wenn genug Daten problematisch genug miteinander verwurstet werden. Aus Sicht der Behörden ist sie deshalb attraktiv, weil sie signalisiert: “wir könnten dich jederzeit überwachen, also überwach dich besser selbst.”
Das PMT ist ein Schönwettergesetz, das auf die Gutartigkeit der Polizeibehörden wettet. Denn auch die Befürworter*innen des PMT streiten nicht ab, dass das Gesetz aufgrund seiner uferlosen Gefährder*innen-Definition, der drastischen Massnahmen und seiner aufs Minimum reduzierten gerichtlichen Kontrolle enormen Schaden anrichten könnte – wenn es in die falschen Hände gerät.
Illustrativ ist dafür etwa Mauro Tuena, der zuständige Kommissionssprecher, der interessanterweise nicht abstreitet, dass der Gefährder*innen-Begriff des PMT ohne weiteres auch auf Greta Thunberg und Christoph Blocher angewandt werden könnte. Er sagt lediglich: “Da gehe ich nicht davon aus, dass das passieren wird.” Er weiss, dass “sein” Gesetz gegen Andersdenkende eingesetzt werden könnte und keine Sicherungen dagegen eingebaut hat. Er hat einfach Gottvertrauen darauf, dass es nicht passieren wird. Es ist ein Gesetz, das darauf wettet, dass es nicht in falsche Hände gerät.
In Englisch nennt man die Theorie, dass die Regierenden schon “nette Kerle” sein werden, es aber ansonsten schief gehen wird, die “good chap theory of government”. Aber weil Macht bekanntlich korrumpiert und mehr Macht nicht notwendigerweise die besseren Menschen anzieht, ist ein Schönwettergesetz ein fundamental fehlerhaftes Gesetz. Wenn es nur in den Händen tadelloser Menschen nicht schiefgehen kann, dann wird es sicher schief gehen. Ein Haus, dessen Dach nur bei schönem Wetter dicht ist, ist schlecht. Eine Rechtsordnung, deren polizeiliche Massnahmen ausschliesslich mit Schönwetter-Polizist*innen funktionieren, ist brandgefährlich.
Der Staat solle doch einschreiten können, bevor etwas Schlimmes passiert sei. Das ist ein verbreitetes Argument zugunsten des PMT. In Tat und Wahrheit kann der Staat heute schon lange einschreiten, bevor Menschen zu Schaden kommen, besonders im Umgang mit terroristischen Gefahren.
Es ist schon heute eine Straftat, eine terroristische Vereinigung zu gründen, ihr anzugehören, für sie zu werben, ihr logistische Unterstützung zu geben, sie zu finanzieren oder ihr Waffen zu besorgen. Es ist verboten, zu Hass und Straftaten aufzurufen. Wo jemand unter dem Verdacht steht, eine schwere Straftat ausführen zu wollen, kann er oder sie in Haft genommen oder in Haft behalten werden. All dies entspricht dem an sich berechtigten Gedanken, dass jemand nicht erst dann verwerflich gehandelt hat, wenn Menschen bereits verletzt oder getötet sind, sondern schon vorher. Nämlich dann, wenn ein definierter “point of no return” überschritten wurde.
Der Staat ist heute also alles andere als wehrlos, bevor etwas passiert. Er hat innerhalb des Strafrechts hierfür sogenannte Vorbereitungsdelikte geschaffen. Der Unterschied zum PMT besteht darin, dass es sich um Delikte handelt, also das Strafprozessrecht zur Anwendung kommt mitsamt Unschuldsvermutung, Selbstbelastungsverbot, Beschleunigungsgebot etc. Es sind also Sicherungen eingebaut, die das Errorgesetz nicht kennt (obwohl es auch sehr drastische Massnahmen zur Folge haben kann).
Das Errorgesetz braucht es also nicht, damit der Staat handeln kann, bevor etwas passiert. Für die Behörden braucht es das PMT nur, damit der Staat entfesselt von den Schranken und Ausgleichsmassnahmen, die das Strafrecht ihm auferlegt, handeln kann. Das PMT ist also nicht nur gefährlich schlecht, sondern auch unnötig.