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Strombinnenmarkt

Das nächste Problem für die Schweiz steht bevor

Die Strommangellage hat uns gezeigt: Das moderne Leben ist ohne Strom nicht möglich. Darum ist die Versorgungssicherheit das Thema der Stunde. Die EU passt gerade ihre Strommarkt-Regeln an. Die Schweiz ist da wieder mal aussen vor. Und muss die negativen Konsequenzen spätestens ab Ende 2025 tragen. Warum das keine gute Nachricht für die Versorgungssicherheit in der Schweiz ist und welche negativen Konsequenzen folgen erfährst du hier im Blog von Libero Dominic Ullmann.

Die EU hat nicht nur einen Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen geschaffen, sondern auch damit begonnen, einen Binnenmarkt für Strom umzusetzen. Das Ziel dieses Binnenmarktes ist es, den Strommarkt innerhalb der EU zu liberalisieren und damit einen effizienten und wettbewerbsfähigen Markt für Strom zu schaffen. Dieser Binnenmarkt soll eine Koppelung der Strommärkte der einzelnen Mitglieder erreichen und so Preisdifferenzen ausgleichen. Heisst: Im gesamten Strombinnenmarkt kostet der Strom mehr oder weniger gleich viel.

Die EU setzt diesen Strombinnenmarkt schrittweise um. Das nächste Paket (Nummer 4, Clean Energy Package) ist aktuell in Umsetzung. Darin wird unter anderem die Verwendung des Stromnetzes für den Binnenmarkthandel bis zum 31. Dezember 2025 neu geregelt. Um den grenzüberschreitenden Handel zwischen den Mitgliedern zu fördern, werden 70 % der verfügbaren Kapazität von den kritischen Elementen im Stromnetz für diesen Handel reserviert. Der Handel mit Nicht-Mitgliedern muss dadurch innerhalb der verfügbaren, nicht reservierten Restkapazität erfolgen.

Die Schweiz hat es bis heute nicht geschafft, am Strombinnenmarkt teilzunehmen, da das entsprechende Abkommen nie abgeschlossen werden konnte. Dadurch wird die Schweiz die negativen Konsequenzen dieser veränderten Regularien tragen müssen, sofern keine Lösung gefunden werden kann.

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Wieso gibt es diese Handelsbegrenzungen?

Ein Stromnetz besteht aus vielen Leitungen sowie dazugehörenden Schaltwerken. Diese verbinden die Kraftwerke (wie z.B. Windkraftanlagen und Wasserkraftwerke) mit den Verbraucher*innen (z.B. für eine LED-Lampe, einen Computer, eine Wärmepumpenheizung …). Die Leitungen dieses Stromnetzes können nicht beliebig viel elektrische Energie transportieren, sondern sie haben eine Limitation, die nicht überschritten werden darf, um die Leitung nicht zu beschädigen. Vereinfacht gesagt: Es passt nur eine bestimmte Menge durch die Leitung.

Die Leitungen müssen jederzeit in der Lage sein, die nachgefragte Menge an elektrischer Energie zu transportieren. Denn das Stromnetz ist nur funktionsfähig, solange die produzierte und die verbrauchte elektrische Energie zu jedem Zeitpunkt praktisch identisch sind. Sobald zusätzliche Verbraucher*innen zugeschaltet werden (z.B. wenn es dunkel wird und alle das Licht einschalten), müssen auch die Kraftwerke (oder Speicher wie Batterien) innerhalb von Sekunden mehr elektrische Leistung produzieren/bereitstellen und die Leitungen müssen diese zu den Verbraucher*innen bringen. Wird nicht mehr so viel Energie benötigt, werden die Kraftwerke wieder gedrosselt oder abgeschaltet. Der Ausgleich kann aber auch bei den Verbraucher*innen stattfinden. D.h. es werden z.B. grosse Verbraucher*innen in der Industrie automatisch abgeschaltet, wenn zu wenig Leistung verfügbar ist, oder es werden Verbraucher*innen zugeschaltet, um ein momentanes Überangebot aufzubrauchen.

Was passiert, wenn das Stromnetz aus dem Gleichgewicht gerät?

Unser Stromnetz wird mit Wechselstrom mit einer Frequenz von 50Hz betrieben. Wird nun zu wenig produziert, sinkt die Netzfrequenz; wird zu viel produziert, dann steigt die Netzfrequenz. Elektrische Geräte haben nur einen gewissen Toleranzbereich für Schwankungen in der Netzfrequenz. Weicht die Frequenz zu stark von den 50Hz ab (d.h. Regelungsmassnahmen auf Produktions- und Verbraucherseite haben versagt), so greifen Notfallmassnahmen, um das Netz in verschiedene Teile aufzuteilen und die problematischen Bereiche abzutrennen. Kraftwerke in den problematischen Bereichen schalten ab, da kein funktionierendes Stromnetz mehr vorhanden ist. 

Wie kann so etwas denn überhaupt passieren?

Fällt z.B. ein grosses Kraftwerk (wie ein Atomkraftwerk) aus, so fehlt sofort eine grosse Menge an elektrischer Energie, um die aktiven Verbraucher*innen zu versorgen. In so einem Fall greifen normalerweise Regelungsmassnahmen, um das ganze wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Stehen nun nicht genügend solcher Regelungskapazitäten zur Verfügung, weil z.B. die Stauseen Ende Winter in der Schweiz leer sind und das Ausland nicht hilft, so bleibt zur Erhaltung des gesamten Stromnetzes nur noch die Abschaltung von gewissen Teilnetzen, um den Verbrauch stark zu reduzieren und dadurch das restliche Netz zu stabilisieren.

Ein anderer wichtiger Fall für ein Ungleichgewicht kann durch das Ausfallen von Stromleitungen (z.B. wegen Zusammenbruch von Strommasten aufgrund von heftigen Unwettern) auftreten. Fallen zu viele Stromleitungen aus, so können die verbleibenden Stromleitungen nicht mehr die gesamte nachgefragte Strommenge transportieren. Um eine Überlastung und daraus folgende Beschädigung der noch intakten Stromleitungen zu verhindern, werden diese deaktiviert. Dadurch können die angeschlossenen Teilnetze nicht mehr versorgt werden, und es kommt zur Abtrennung und Abschaltung von gewissen Teilen des Stromnetzes.

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Wieso muss uns das in der Schweiz überhaupt kümmern?

Gemäss Artikel 22 Absatz 3 StromVG hat die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom die Versorgungssicherheit zu überwachen. Erscheint diese mittel- bis langfristig als gefährdet, so hat die ElCom nach Artikel 22 Absatz 4 StromVG dem Bundesrat Vorschläge für Massnahmen nach Artikel 9 StromVG zu unterbreiten.

Die ElCom hat sich Gedanken gemacht, was denn die Änderungen im Strombinnenmarkt der EU für die Schweiz bedeuten und ist zum Schluss gekommen, dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist.

Dies liegt vor allem daran, dass die Schweiz im Winter zu wenig Strom erzeugen kann und daher auf Importe angewiesen ist. Mehr als 40 Leitungen verbinden die Schweiz mit dem europäischen Stromnetz und ermöglichen so noch einen regen Handel.

Bis Ende 2025 müssen die europäischen Übertragungsnetzbetreiber mindestens 70 % der Leitungskapazitäten für den Handel innerhalb des Strombinnenmarktes reservieren. Da die Schweiz nicht Teil des Binnenmarktes ist, kann der Stromhandel mit der Schweiz nicht innerhalb dieser 70 % der Leitungskapazität erfolgen. Der Handel mit der Schweiz muss daher innerhalb der übrig gebliebenen Kapazität erfolgen. Dadurch wird die Möglichkeit für Stromimporte (Reduktion Leitungskapazität auf 1/3 von heute) und Exporte (Reduktion Leitungskapazität auf 1/4 von heute) massiv eingeschränkt.

Wieso brauchen wir so viel Handel?

Fällt z.B. ein AKW in der Schweiz aus, so muss der Fehlbetrag mithilfe der Speicherkraftwerke ausgeglichen werden. Die Füllstände der Stauseen fallen dadurch schnell ab. Passiert dies Ende Winter, wo die Füllstände sowieso schon tief sind, so könnte der Verbrauch nicht mehr gedeckt werden und es müsste mit Abschaltungen von Teilnetzen gerechnet werden.

Ist es sehr trocken, so ist die Produktion aus Schweizer Wasserkraft eingeschränkt. AKWs können eventuell auch nicht mehr produzieren aufgrund der zu hohen Kühlwassertemperatur. In einem solchen Szenario könnten die Grosshandelspreise im Sommer in der Schweiz stark steigen. Die Variabilität der Grosshandelspreise würde auf jeden Fall zunehmen, da zu wenig Ausgleichsmöglichkeiten mit Europa bestehen.

Auch die Beschränkung der Exportkapazitäten ist keine gute Nachricht. Schweizer Speicherkraftwerke können heute noch zu guten Tarifen Strom ins europäische Ausland verkaufen (bei hoher Nachfrage dort) und so rentabel sein. Fällt diese Möglichkeit weg, sinken die Einnahmen, und ein Betrieb könnte sogar unrentabel werden. Ein Ausbau der inländischen Stromproduktion ist unter solchen Bedingungen je nachdem auch nicht besonders attraktiv für die Schweizer Elektrizitätsversorger*innen.

Können wir nicht einfach die aktuelle Zusammenarbeit ohne Änderungen weiterführen?

Ohne neue Verträge wird die 70-%-Regel spätestens Ende 2025 die Kapazität für den Handel mit der Schweiz empfindlich reduzieren. Nichtstun funktioniert hier also nicht, und die Zeit arbeitet gegen die Schweiz. Um grössere Probleme für die Schweiz zu vermeiden, muss in neuen Verhandlungen eine Möglichkeit gefunden werden, um die Kapazitäten für den Import und Export zu sichern und zumindest eine teilweise Kooperation bei der technischen Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten.

Eine definitive Sicherung könnte durch den Abschluss des Stromabkommens mit der EU erreicht werden. Nur wird die EU ohne vorherige Lösung der institutionellen Fragen kein Stromabkommen mit der Schweiz abschliessen. Alternativ könnten eventuell die negativsten Effekte für die Schweiz durch neue Verträge mit allen beteiligten Übertragungsnetzbetreiber*innen abgefedert werden. Entsprechende Verhandlungen sind im Gange. Ob sie zu einem Resultat führen, ist ungewiss.

Die Schweiz kann bei den zukünftigen Regeln im europäischen Stromnetz nicht mitbestimmen, solange kein Strommarktabkommen abgeschlossen wurde. Damit eine technische Kooperation funktionieren kann, bleibt in so einem Fall nur die komplette Übernahme aller Vorschriften (autonomer Nachvollzug).

Windenergie Strom Blog

Können wir nicht einfach allen Strom in der Schweiz produzieren?

Die Schweiz muss mittelfristig die alten AKWs abschalten, da eine ausreichende Sicherheit ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll gewährleistet werden kann. Zusätzlich wird für den Ersatz der extrem ineffizienten fossilen Energieträger für Heizung und Mobilität durch Strom zusätzliche Kapazität erforderlich. Nur schon diese Tatsachen erfordern eine grosse Anstrengung, neue Kapazitäten zu schaffen. Viele erneuerbare Energieprojekte sind aber heute in langwierigen Verfahren über Jahre blockiert. Vor allem die für die Winterstromproduktion so wichtige Windkraft leidet stark unter diesen schlechten Rahmenbedingungen.

Ein schneller und massiver Ausbau der Kapazitäten innerhalb von kürzester Zeit ist daher wenig realistisch. Ein Stromimport wird also über Jahre hinaus für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit weiterhin erforderlich sein. Eine Stromautarkie ist aber sowieso mit hohen Kosten für zusätzliche Reservekapazitäten verbunden, da das Ausland bei Problemen nicht genug unterstützt. Stromautarkie ist also wenig sinnvoll und nicht erstrebenswert.

Was wäre ein sinnvoller Lösungsweg?

Der Abschluss des Strommarktabkommens mit der EU würde die aufgezeigten Probleme nachhaltig lösen. Das Abkommen würde der Schweiz vollen Zugang zum Strombinnenmarkt sichern, und die Schweiz könnte so ihre Interessen bei der Weiterentwicklung dieses Strommarkts direkt einbringen. Neue Abkommen zwischen der Schweiz und der EU sind aber nicht möglich, da die EU zuerst die institutionellen Fragen klären will, um sicherzustellen, dass die Schweiz nach den gleichen Regeln teilnimmt wie die anderen Binnenmarktmitglieder.

Bundesrat und Parlament verfolgen weiterhin keine ernsthaften Ansätze, diese Fragen zu klären. Das Europagesetz ist im Ständerat stecken geblieben, der Bundesrat beschäftigt sich nur mit nie enden wollenden Sondierungsgesprächsrunden, die zu keinem Ergebnis führen. Unterdessen häufen sich die Probleme der Schweiz durch die Erosion der aktuellen Verträge mit der EU. Das Thema Strommarkt ist nur eines von vielen.

Da es der Bundesrat und das Parlament nicht auf die Reihe kriegen, braucht es einen verbindlichen Volksauftrag, Verhandlungen durchzuführen, um die institutionellen Fragen zu klären. Die Europa-Initiative leistet genau das. Sie fordert die rasche Aufnahme von Verhandlungen und verhindert dann auch, dass das Verhandlungsergebnis wie beim Rahmenabkommen einfach in der Schublade verschwindet.

Hilf auch du mit, die Schweiz aus der Sackgasse zu führen und die anstehenden Probleme zu lösen. Gib uns Pfupf, denn nur so verhindern wir langfristig Versorgungsprobleme beim Strom.

Dominic Ullmann

Verfasser: Dominic Ullmann, Operation Libero

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