Warum der Gegenvorschlag des Parlaments ein zahnloser Papiertiger ist
Bei Ablehnung der Konzernverantwortungs-Initiative (KVI) tritt der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments in Kraft. Statt Risiken zu vermeiden und Schäden zu kompensieren, würde er aber vor allem zu mehr Papier führen. Der Gegenvorschlag belastet Konzerne mit wirkungslosen Berichterstattungspflichten und degradiert Verantwortung zum blossen Schreiben von Berichten und Hochglanzbroschüren.
Bei Ablehnung der Konzernverantwortungs-Initiative (KVI) tritt der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments automatisch in Kraft. Im Abstimmungskampf um die KVI behauptet die freisinnige Bundesrätin Karin Keller-Sutter unablässig, wie gut und wirksam dieser sei. Jedoch würde der Gegenvorschlag primär zu mehr Papier führen. Insbesondere verspielt der Gegenvorschlag die liberale Stossrichtung der KVI: Statt Risiken zu vermeiden und Schäden zu kompensieren, degradiert er Verantwortung zum blossen Berichteschreiben. Damit verpasst der Gegenvorschlag es auch, unseren rechtlichen Rahmen den ökonomischen Realitäten im 21. Jahrhundert anzupassen.
Den Kern des indirekten Gegenvorschlags bilden Berichterstattungspflichten. Grosse Schweizer Unternehmen sollen jährlich über nichtfinanzielle Informationen berichten, insbesondere zu CO2-Zielen, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen. Daneben sieht der Gegenvorschlag – so wie auch die KVI – Sorgfaltspflichten vor, wenn Unternehmen mit Mineralien und Metallen zu tun haben, welche möglichweise aus Konflikt- und Hochrisikogebieten stammen oder ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht. Die Reduktion der Sorgfaltspflichten auf diese zwei «Bereiche» ist nicht hinreichend begründet und orientiert sich wohl ausschliesslich an schon bestehenden Regeln in unserem europäischen Umland und nicht an einer vertieften Analyse konkreter Problemfelder. Es leuchtet beispielsweise nicht ein, warum Sorgfaltsprüfungspflichten im Bereich der Kinderarbeit, nicht aber der Zwangsarbeit eingeführt werden sollten.
Ferner beinhaltet der Gegenvorschlag eine strafrechtliche Bestimmung, welche besagt, dass mit Busse bis zu 100’000 Franken bestraft wird, wer in den Berichten vorsätzlich falsche Angaben macht oder die Berichterstattung unterlässt (bei Fahrlässigkeit 50’000 Franken). Dies ist bemerkenswert, denn im Gegensatz zur KVI wird damit einzelnen natürlichen Personen eine Schuld für ein unternehmerisches Versagen zugeschrieben. Und dies auf eine Art und Weise, welche einerseits den geschädigten Personen nichts bringt und andererseits der Justiz im Vergleich zur KVI eine aufwendigere Rolle zuschreibt.
Die Geschädigten bleiben aussen vor
Die KVI verbindet unternehmerische Freiheit mit gesellschaftlicher Verantwortung durch das Mittel der Sorgfaltsprüfungspflicht und dem Mechanismus der zivilrechtlichen Haftung. Die Initiative passt damit unseren rechtlichen Rahmen an die ökonomischen Realitäten des 21. Jahrhunderts an und zwar – und das ist uns besonders wichtig – auf eine Art und Weise, die die Eigenverantwortung aller Beteiligten ins Zentrum stellt: Konzerne sollen ihrer Sorgfaltsprüfungspflicht nachkommen, denn dies führt zur Verbesserung der lokalen Lebens- und Umweltbedingungen, in einer Textilfabrik, auf einer Teeplantage oder im Umkreis einer Kohlemine. Und falls international anerkannte Mindeststandards zu Menschenrechten und Umwelt durch Schweizer Konzerne verletzt werden, sollen die Geschädigten vor Ort oder aber am Sitz des Konzerns in der Schweiz klagen können.
Mit dem Fokus auf Berichterstattungspflichten und strafrechtliche Sanktionen lässt der Gegenvorschlag die Geschädigten aussen vor. Berichten heisst nicht verbessern (mehr dazu unten). Zudem zielt der vorgesehene Sanktionsmechanismus im Gegenvorschlag nicht auf eine Wiedergutmachung des verursachten Schadens, sondern nur darauf, dass im nächsten Jahr die Berichte besser geschrieben werden.
Mehr Staat und weniger Eigenverantwortung
Wie schon angesprochen, setzt der Gegenvorschlag auf einen strafrechtlichen Sanktionsmechanismus. In Anlehnung an den aktuell bereits bestehenden Art. 325 StGB wird mit Busse bis zu 100’000 Franken bestraft , wer in den Berichten falsche Angaben macht oder die Berichterstattung unterlässt, oder der gesetzlichen Pflicht zur Aufbewahrung und Dokumentation der Berichte nicht nachkommt. Das Strafrecht, und somit auch die Sanktionsbestimmung des Gegenvorschlags, weisen dem Staat eine sehr aktive Rolle zu. Es gilt grundsätzlich die Offizialmaxime, was bedeutet, dass die Strafverfolgung dem Staat obliegt. In der zivilprozessrechtlichen Lösung der KVI hingegen würden staatliche Gerichte lediglich die Rolle eines Schiedsrichters einnehmen. Beweisen und verhandeln müssten die Streitparteien. Zudem setzt die KVI mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises den richtigen Anreiz, damit Konzerne menschen- und umweltrechtlichen Verpflichtungen selbstständig und effektiv nachkommen.
Und ausserdem: Zur Krux der Berichterstattungspflichten
Berichterstattungspflichten als regulatorische Massnahmen gehen davon aus, dass menschen- und umweltrechtliche Anliegen für Unternehmen wichtiger werden, wenn sie darüber berichten müssen. Durch die Berichte sollte die Öffentlichkeit, also wir, einen Einblick in die Bestrebungen der Konzerne (oder ein Fehlen dieser) erhalten. Um als regulatorische Massnahme zu funktionieren, sollten daraufhin zivilgesellschaftliche Organisationen und weiter Interessenvertretungen die Konzerne anprangern und sie so zu einem anderen Verhalten bringen (bekannt als «naming und shaming»). Dies setzt jedoch voraus, dass einerseits die Berichte zugänglich und vollständig sind und es andererseits genügend freiwillige Watchdogs gibt, welche sich Jahr für Jahr dieser Berichte annehmen. Die Verantwortung wird also verlagert auf die Zivilgesellschaft. Konzerne, als die eigentlichen Verursacher der Schäden, werden hingegen entlastet. Die eigentlichen Geschädigten spielen dabei keine Rolle mehr. Die Externalisierung der Kosten, welche das Wirtschaftssystem als Ganzes schädigt, geht freudig weiter. Um es kurz zu fassen: Öffentlichkeit heisst noch lange nicht Zugänglichkeit, Aufmerksamkeit oder Rechenschaft.
Nicht nur die regulatorische Grundidee des Gegenvorschlags, sondern auch das konkrete Mittel der Berichterstattungspflicht ist längst überholt. Die vorgesehene Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange kopiert die EU-Richtlinie zur Angabe nichtfinanzieller Informationen durch bestimmte grosse Unternehmen und Unternehmensgruppen. Ende letzten Jahres hat die EU Kommission beschlossen, diese Richtlinie zu überprüfen, da sie die beabsichtigte Wirkung weit verfehlt. Zudem hat die EU-Kommission im Mai dieses Jahres angekündigt, ein Gesetzesprojekt zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für Konzerne in der EU zu verfolgen. Portugal, welches nach Deutschland die nächste EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird, hat schon angekündigt, die diesbezüglichen Kommissionspläne weiterzuverfolgen.
Es ist ewiggestrig und geradezu durchsichtig, wenn der Schweizer Gesetzgeber und der Bundesrat nicht von den Erfahrungen unserer europäischen Nachbarländer lernen und stattdessen an einer veralteten und sich als unwirksam erwiesenen Idee der Regulierung durch Berichte festhalten wollen.
All dies macht klar: Wer liberal ist, spricht sich nicht nur für das Kernanliegen der KVI – nämlich das Hand-in-Hand-Gehen von Freiheit und Verantwortung – aus, sondern eben auch für die von der KVI gewählten Mittel: die Einführung einer allgemeinen Sorgfaltspflicht sowie deren Durchsetzung und eine allfällige Wiedergutmachung durch ein zivilrechtliche Haftung.