Ecopop 1.0 (2)

Wird es eng in der Schweiz? In den Köpfen vielleicht

Fremdenfeindliche SVP-Initiative

Here we go again: Die SVP macht wieder populistische Stimmung gegen die Zuwanderung. Mit ihrer sogenannten “Nachhaltigkeits-Initiative” will sie diesmal ihre fremdenfeindliche Politik im Namen der Nachhaltigkeit salonfähig machen. Das ist brandgefährlich. Wir haben im Archiv gewühlt, und beantworten wichtige Fragen.

Seit dem 4. Juli 2023 sammelt die SVP wieder einmal Unterschriften, um die Zuwanderung und den Zugang zum Asylwesen drastisch zu beschränken. Die SVP versucht einmal mehr, Ausländer*innen zum Sündenbock zu machen für hausgemachte Herausforderungen in der Umwelt-, Mobilitäts- oder Raumplanungspolitik. Wir treten der polemischen Politik der SVP entschlossen entgegen.

Zum Beispiel mit Kondomen. Dank unserer grossartigen Community können wir Ende August am SVP-Grossanlass im ZSC-Stadion 4’000 Kondome mit der Aufschrift “Poppen gegen Ecopop 2.0” verteilen. Die SVP will die Bevölkerungszahl kontrollieren? Dann soll sie bei sich anfangen!

Doch Kondome allein werden gegen den SVP-Populismus nicht reichen. Es braucht Inhalte, Fakten, Gegenargumente. Wir haben deshalb im Archiv gewühlt und Blogbeiträge aus dem Jahr 2011 und 2014 gefunden. Sie sind noch immer brandaktuell, denn die SVP-Initiative ist alter Wein in neuen Schläuchen.

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altes Ecopop plakat

Seit die Personenfreizügigkeit mit Europa gilt, gehört es zum guten Ton, über die Enge in der Schweiz zu jammern. Das gefährdet nicht nur die Vorteile der Personenfreizügigkeit unnötig, es geht auch an den wahren Problemen vorbei.

Pünktlich zum Wahlkampf ist es Mode geworden, darüber zu lamentieren, wie eng die Schweiz geworden sei. Wachstumskritik gehört neu zu den Standardphrasen von Durchschnittspolitiker*innen jeden Couleurs. Die Infrastruktur könne das Wachstum nicht mehr bewältigen, die Mieten und Bodenpreise würden unerträglich, die „Singapurisierung der Schweiz“ müsse aufgehalten werden denn die absolute Wachstumsgrenze sei erreicht.

Doch es geht in dieser modischen Diskussion nicht eigentlich um Wachstumskritik, sondern darum, einen Sündenbock aufzubauen. Für die gefühlte Enge im Zug, auf der Autobahn und bei der Suche nach Wohnungen ist nach der Darstellung der falschen Wachstumskritiker*innen nicht die explodierende Mobilität der Alteingesessenen verantwortlich und ihre immer raumgreifenderen Vorstellungen einer angemessenen Behausung, sondern die Zuwanderung.

Es gibt Abstufungen in den Schuldzuweisungen. Für Bastien Girod (Grüne) sind die zuziehenden Unternehmen das Problem, Phillip Müller, der Chef-Zuwanderungs-Verhinderer der FDP, hat den Familiennachzug von Asylsuchenden als neues Hauptübel identifiziert und die SVP bleibt Marktführerin bei der Dämonisierung der Personenfreizügigkeit. Gemeinsam ist den Sündenbock-Politikern die Entschlossenheit, Probleme, deren Lösungen langfristig, kompliziert und unpopulär sind, in eine Migrations-Debatte umzugiessen, die als politischer Gassenhauer hervorragend funktioniert. Wie weit sich dieses Spiel treiben lässt, ist erstaunlich. Als es der SVP nach der AKW-Katastrophe in Fukushima erst einmal die Sprache verschlagen hatte, meldete sie sich zurück, indem sie den bizarren Zusammenhang herstellte, für das AKW Mühleberg sei im Grunde die Zuwanderung verantwortlich.

Diese Sündenbockpolitik kann zu nichts Gutem führen. Denn erstens ist es in der Schweiz nicht eng und zweitens wäre die Ressourcenknappheit selbst dann, wenn sie tatsächlich akut wäre, nicht von der Zuwanderung zu verantworten.

Zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte war es in der Schweiz enger als heute. Im späten Mittelalter – auf dem Gebiet der heutigen Schweiz lebten knapp 800’000 Einwohner – waren nicht nur die zur Verfügung stehenden Lebensmittel, sondern auch der zur Verfügung stehende Lebensraum pro Kopf sehr knapp. In der Stadt Zürich bestand die Vorschrift, eine Strasse müsse mindestens so breit sein, dass eine Sau sich umdrehen könne. Das war eng. Die Menschen, die zur Zeit der Gründung der alten Eidgenossenschaft auf dem Gebiet der heutigen Schweiz zu Hause waren, hätten jeden ausgelacht, der ihnen erzählt hätte, die Bevölkerungszahl werde sich in 700 Jahren verzehnfachen: „Niemals. Das Wachstum hat eine absolute Grenze. Bei spätestens einer Million Menschen ist die Kapazitätsgrenze der Schweiz erreicht“, hätten sie entgegnet.

Im Jahr 1900, als in der Schweiz rund 3.3 Millionen Menschen lebten, hätten die Menschen wohl gesagt, die absolute Kapazitätsgrenze des Landes sei bereits überschritten, was ihnen niemand hätte verübeln können. Denn obwohl weniger als die Hälfte der heutigen Bevölkerung in der Schweiz lebte, war es unendlich viel enger. Die Wohnungen waren elend und dunkel, mit rauchigen Heizungen und ohne fliessendes Wasser. Oft bestanden sie aus einem einzigen Raum. Mehrere Familienmitglieder mussten in demselben Bett schlafen und dennoch war die Miete so hoch, dass sie fast das ganze Einkommen verschlang. Das war eng.

mittelalter tisch voll

Die Mobilität der Schweizer*innen hat seit jener Zeit um den Faktor 62 zugenommen (durchschnittlich 17’400 Kilometer pro Kopf und Jahr gegenüber 280 Kilometer um 1900). Die Wohnfläche pro Person hat in den 17 Jahren von 1983 bis 2000 um 34 Prozent zugenommen. Das hat denselben Effekt, wie wenn die Bevölkerung in jener Zeit um einen Drittel gewachsen wäre.

Demgegenüber hat der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu 1910 (als ebenfalls weitgehende Personenfreizügigkeit mit den Nachbarstaaten herrschte) nur um etwa 9 Prozent zugenommen. Das zeigt: Im Vergleich zu den sehr stark steigenden Ansprüchen der bereits Anwesenden ist das Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung ein vernachlässigbarer Faktor für die Belastung der Ressourcen im Land. Und: Entscheidend für die Ressourcen, die pro Person zur Verfügung stehen, ist nicht die absolute Zahl der Einwohner*innen, sondern die Effizienz, mit der die vorhandenen Ressourcen genutzt werden.

Vielleicht ist die Migration sogar ein Beitrag zur Lösung. Bis jetzt hat sie bereits erstaunliches bewirkt: Selbst die SVP und die FDP, deren aktiven Parteimitglieder zum überwiegenden Teil auf Gemeindeebene tätig sind und dort nur ein Ziel verfolgen (Bauland einzonen!), beginnen dank der Personenfreizügigkeit, sich für Raumplanung zu interessieren. Wenn es ihnen nun noch gelingt, das Stadium der Sündenbock-Politik hinter sich zu lassen und Massnahmen mitzutragen, die zur Verdichtung der Städte und zum Schutz unverbauter Landschaften beitragen, dann wäre das ein weiteres Beispiel dafür, was für erstaunlich positive Effekte Migration haben kann.

Die Herausforderungen der steigenden Ressourcenbelastung sind gross. Doch werden sie lösbar sein, wenn sie mit Lust an technischer Innovation angegangen werden statt mit der Kultivierung eines populären, aber falschen Feindbildes.

Der limitierende Faktor für die Grösse der Schweiz ist nicht die Enge des Lebensraumes, sondern die Enge in den Köpfen.

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich im foraus-Blog publiziert.

Schlegel

Verfasser: Stefan Schlegel, Vorstandsmitglied Operation Libero

Avec sa soi-disant "initiative sur la durabilité", l'UDC veut une fois de plus mettre un terme à l'immigration. Cette fois, elle veut rendre sa politique xénophobe présentable au nom de la durabilité. L'initiative s'en prend aux étranger·es en les désignant comme boucs émissaires pour des problèmes internes dans les domaines de l'aménagement du territoire, de la mobilité ou de la protection de l'environnement.

L'initiative marquerait la fin certaine de la libre circulation des personnes avec l'Union européenne. Grâce à celle-ci, nous pouvons choisir librement où nous voulons vivre, aimer et travailler en Europe. De plus, la Suisse devrait gérer l'accès au domaine de l'asile de manière encore beaucoup plus restrictive qu'aujourd'hui. Cela va à l'encontre de notre vision d'une politique migratoire libérale. Nous devons défendre la Suisse ouverte et ses acquis en matière de liberté contre l'UDC. Et en même temps, rendre la Suisse encore plus ouverte et progressiste, par exemple avec l'initiative pour la démocratie et l'Initiative Europe.

La Suisse n'est pas à l'étroit, tout au plus dans l'esprit de ceux qui veulent rendre les étranger·es responsables des problèmes faits maison. En comparaison avec les exigences très fortement accrues des personnes déjà présentes (par exemple dans le domaine de la mobilité et du logement), la croissance démographique due à l'immigration est un facteur presque négligeable de pression sur les ressources du pays. Le fait est que : Il y a encore beaucoup de place en Suisse. Ce qu'il faut, c'est une planification efficace de nos ressources et de nos infrastructures. Au travail !

L'immigration apporte à la Suisse diversité et prospérité - c'est prouvé. Pourquoi devrions-nous la limiter à pratiquement zéro simplement parce que le populisme de droite mène une politique de bouc émissaire au détriment des immigré·es ? Nous nous réjouissons d'une Suisse de 10 millions d'habitant·es qui, grâce à une planification efficace des ressources (aménagement du territoire, mobilité, protection de l'environnement, etc.), assurera encore plus de prospérité et de diversité. Pour cela, nous devons dépasser le stade de la politique du bouc émissaire et promouvoir des mesures qui contribuent à la densification des villes, à une mobilité porteuse d'avenir et à la protection de notre environnement. Dans ce cas, la Suisse a encore ses meilleurs jours devant elle.

L'UDC ne s'intéresse pas à la durabilité, ou alors qui vient de combattre la loi climat ? Ceux qui répartissent la responsabilité de la pollution non pas en fonction du mode de vie, mais en fonction de l'origine, agissent de manière xénophobe. L'étalement urbain doit être combattu par l'aménagement du territoire, les trains bondés par la politique des transports, la hausse des prix du logement par la politique du logement, la pollution et le changement climatique par la politique environnementale. L'UDC a toujours la même réponse à tout cela : limiter l'immigration. C'est du populisme à l'état pur.

Par la politique des transports, l'aménagement du territoire, la politique du logement, la planification efficace des ressources, la politique environnementale, la promotion de l'innovation, you name it. Certainement pas avec une politique populiste et xénophobe.

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Operation Libero Pink

Seit der Primarschule wissen wir, dass Unmut immer an denen ausgelassen wird, die sich nicht wehren können. Bei Ecopop läuft dies nicht anders: Anstatt dass Fragen zur Infrastruktur und Umwelt gesamtheitlich und gezielt angegangen werden, muss die Zuwanderung als Sündenbock herhalten.

Eigentlich ist es klar: Die Belastung unserer Infrastruktur ist auf unsere starke Wirtschaft und somit auf unseren Wohlstand zurückzuführen. Dieser wird von der ganzen Bevölkerung geschaffen. Somit müsste auch die Belastung der Infrastruktur und der Umwelt von der ganzen Bevölkerung getragen werden. Stattdessen unterscheiden wir zwischen „Schweizer Wohlstand“ und dem „zugewanderten Dichtestress“ – sprich, dem „Ausländerproblem“.

Ausgrenzung statt mehr Effizienz

Der Ressourcenverbrauch gerate an Grenzen, welche auch eine höhere Effizienz nicht ausgleichen können, argumentieren Befürworter*innen des menschenverachtenden Begriffs „Überbevölkerung“ häufig. Nun müsse man den Faktor Bevölkerung ins Auge fassen.

Vielleicht unterschätzen sie den Faktor Innovation. Vielleicht sind sie aber auch einfach für eine bequeme Lösung anstelle einer menschlichen. Denn wie kann man ernsthaft behaupten, die Effizienz unserer Ressourcen und Infrastrukturen sei ausgereizt, wenn die Züge zweimal am Tag überfüllt und die restliche Zeit fast leer unterwegs sind; Wenn es aufgrund fehlenden Mobility Pricings auf den Autobahnen zu Staus kommt; wenn in den Städten und Agglomerationen noch bedeutendes Verdichtungspotential besteht? Aber anstatt von der Politik mehr Effizienz im Verkehrswesen und in der Raumplanung zu fordern, lassen sich Medien und Öffentlichkeit lieber von bequemen, unkomplizierten Sündenbock-Kampagnen manipulieren. Und einmal mehr sind wir da, wo wir immer schon waren: Die Ausländer*innen sind schuld. Das ist bequem. Das ist unkompliziert.

Die Schweiz ist mehr als nur ein Volk

Aber in der globalisierten Schweiz des 21. Jahrhunderts müssen wir uns von der Vorstellung lösen, dass die Bevölkerung in zwei vermeintlich homogene Gruppen – Schweizer  und Ausländer – aufgeteilt werden könne. Die politischen Fronten definieren sich  heute in der Schweiz ganz anders als über das veraltete Konzept der Nationalität. Die Schweiz spaltet sich entlang der Unterschiede von Wohlstand, Alter und Zukunftsaussichten, nicht entlang unterschiedlicher Staatsbürgerschaften. Es ist an der Zeit, die Schweiz als mehr als nur ein Volk anzuerkennen, nämlich als eine Bevölkerung. Wir sollten Probleme und Spannungen auch als ganze Bevölkerung angehen, statt gegen einen Teil dieser Bevölkerung vorzugehen. Denn die Schweiz verdankt ihren Reichtum der gesamten Bevölkerung.