Wir Helden...
Ein Meinungsbeitrag von Libero Christoph
SARS-CoV-2 erreicht mich während meiner Arbeit als Unterassistenten in einem kleinen Spital in einem beschaulichen Schweizer Südtal und stellt mich vor Fragen.
Das postheroische Zeitalter geht gerade abrupt zu Ende. Das Land braucht Heldinnen und Helden, um glücklich zu sein. Die Länder befinden sich im Krieg, sagen sie. On Drugs? On Terror? Nein, on SARS-CoV-2.
Mich erreicht SARS-CoV-2 während der Unterassistenzstelle in einem kleinen Spital in einem beschaulichen Schweizer Südtal. Die Ruhe des Februars verwandelt sich mit Blick auf die Situation in Italien in einen hektischen aber konzentrierten März, in welchem das Gesundheitszentrum auf die Epidemie vorbereitet wird. Ein Besuchsverbot wird verhängt, ein separates Sprechzimmer eingerichtet und ein Konzept entwickelt, wie möglichst viele COVID-19-Patienten behandelt werden können, ohne das Alters- und Pflegeheim sowie die anderen Patientinnen und Patienten zu gefährden. Dabei stehen wir vor der Herausforderung, dass sowohl ein Gros der Patientinnen und Patienten, als auch die überwiegende Mehrheit der Pflege und der weiteren Angestellten aus Italien kommt. Zusätzlich kämpfen wir mit knappen Vorräten an Schutz- und Desinfektionsmaterial. Zu allem Übel kommen noch Lieferengpässen. Zum Glück reagiert die Bevölkerung mit viel Verständnis und Empathie.
Wir Helden.
Wenn auch gut gemeint, so störe ich mich doch am neu aufkeimenden Heldenkult. Es ist die Aufgabe des Gesundheitssystems, sich um infektiöse Patientinnen und Patienten zu kümmern, das ist unser Beruf, dazu sind wir ausgebildet. Heldenhaft wird das erst, wenn man es mit nicht ausreichenden Ressourcen macht, wobei es dann ein schmaler Grat zwischen Heldentum und Narrentum ist. Am Ende des Tages geht es also nicht um Heldentum, sondern um politische Entscheide, um Planung, um Strukturen, Ressourcen, und Arbeitsbedingungen.
Und so arbeite ich weiter, ich Held, hoffend, und mittlerweile guten Mutes, dass unser Gesundheitssystem der Pandemie gewachsen ist. Und doch stelle ich mir gleichzeitig einige Fragen für die Zeit nach der Krise…
Wie können wir eine eine strukturelle Unterversorgung im Gesundheitswesen verhindern? Und Bedingungen schaffen, um das Personal länger im Beruf zu halten? Gelingt es uns, den Zugang zu ausländischem Gesundheitspersonal aufrecht zu erhalten und für dieses attraktiv zu bleiben? Wie gelingt es uns, das technologisch Mögliche bei der Bekämpfung von Pandemien innerhalb eines liberalen Rahmens umzusetzen? Die Konzepte der südostasiatischen Länder scheinen am besten funktioniert zu haben - besteht nun die Gefahr, dass wir diese übernehmen und COVID-19 zum Katalysator für (insbesondere digitale) Überwachung im Namen der Sicherheit wird?
Stand heute darf man vorsichtig hoffen, dass unser Gesundheitssystem der Pandemie gewachsen ist. Die Welle klingt ab. Die schrittweise Öffnung steht bevor. Und ebenso Fragen, die im Nachgang dieser Krise diskutiert werden müssen.
Christoph Iselin ist Vorstandsmitglied der Operation Libero Sektion Zürich, Medizinstudent und erlebt die Auswirkungen der Pandemie im Spital aus nächster Nähe.