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Zuwanderung – «Backpulver für unseren Wohlstand»

Die fetten Jahre sind jetzt.

Zuwanderung bringt die Schweiz voran. Der Schweiz ist es wirtschaftlich noch nie so gut gegangen wie heute. Und dies nicht zuletzt dank der Personenfreizügigkeit. Es ist an der Zeit, dass wir endlich wieder über die positive Bilanz der Zuwanderung sprechen.

von Ivo Scherrer und Luc Zobrist*

Beschränken, kontingentieren, steuern: Spätestens seit dem Ja zur SVP-Zuwanderungsinitiative im vergangenen Februar wird die Annahme, dass uns die Zuwanderung mehr schade als nütze, in der Politik kaum mehr hinterfragt. Auch prominente Ökonomen scheinen diese Meinung zu teilen: Gemäss Professor Reiner Eichenberger, der auf allen möglichen Kanälen als Zuwanderungsexperte auftritt, hat die Personenfreizügigkeit den Bewohnern der Schweiz kaum Vorteile gebracht. Auf Basis dieser Argumenta­tion regt er an, Zuwanderung in Zukunft über eine Lenkungsabgabe zu beschränken.

Die fetten Jahre sind jetzt

Nur wer sich durch den Datendschungel kämpft, kommt zu einem anderen Schluss. Den Bewohnern der Schweiz geht es besser als vor der Einführung der Personenfreizügigkeit. Und dies, obwohl wir während dieser Periode mit der verheerendsten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten 80 Jahre gerungen haben. Zwischen 2000 und 2012 ist das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf, das anerkannteste Mass des materiellen Wohlstands, um 10 Prozent gestiegen. Ebenso hat die Arbeitsproduktivität zugenommen. Von der BIP-pro-Kopf-Zunahme zwischen 2006 und 2011 sind 40 Prozent auf höhere ­Arbeitsproduktivität zurückzuführen. Mit anderen Worten: Wir sind nicht nur reicher als im Jahr 2000. Wir produzieren auch effizienter.

Dazu kommt, dass die Zuwanderer – entgegen weitverbreiteter Befürchtung – die ansässigen Arbeitnehmer im Schnitt nicht verdrängen. So bewegt sich die Arbeitslosigkeit seit 2011 saisonbereinigt um 3 Prozent. Dies ist fast ein Prozentpunkt tiefer als in den Jahren 2003 bis 2006, also vor der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit für die EU-15-Staaten. Insbeson­dere ist auch die Arbeitslosigkeit der älteren Arbeitnehmer nicht gestiegen. 2013 lag sie mit 2,9 Prozent sogar leicht tiefer als 2007. Dass es auf dem Arbeitsmarkt nicht zu Verdrängungen gekommen ist, lässt sich dadurch erklären, dass die meisten Zuwanderer die ansässigen Arbeitnehmer in ihren Fähigkeiten ergänzen. Die Bewohner der Schweiz profitieren sogar, indem sie infolge der Zuwanderung tendenziell anspruchsvollere und besser entlöhnte Stellen besetzen.

Auch die Befürchtung, dass die Zuwanderer die Staatskassen stark belasten würden, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Zuwanderer aus der EU zahlen mehr an den Schweizer Staatshaushalt, als sie in Form staatlicher Leistungen beziehen. Und besonders spannend in der zurzeit hitzig geführten Diskussion um die Sozialhilfe: Zuwanderer, die unter dem Personenfreizügigkeitsabkommen gekommen sind, nehmen weniger Sozialhilfe in Anspruch als Schweizer. Von einer Einwanderung in die Sozialwerke kann kaum die Rede sein.

Wohlstand dank Zuwanderung

Der Schweiz geht es also so gut wie nie zuvor. Nun stellt sich die Frage, ob es uns besser gehen wird, wenn wir die Zuwanderung in planwirtschaftlicher Manier kontingentieren und, wie von Ecopop gefordert, massiv drosseln. Dies ist zu bezweifeln. Denn Wohlstand ist kein Kuchen, dessen Stücke grösser werden, je weniger Leute zur Party kommen. Vielmehr sind es die Partygänger selbst, die den Kuchen backen. Und die Zuwanderer bringen das Backpulver.

In Anbetracht des hohen Bedarfs an Fachkräften besteht die Gefahr, dass unsere Unternehmen und Universitäten Investitionen streichen und mittelfristig ihre Aktivitäten verlegen, wenn sie nicht mehr die nötigen Spezialisten einstellen können. Gerade die produktiven, exportorientierten Firmen sowie die Forschung sind stark internationalisiert und müssen sich im globalen Wettbewerb bewähren. Dies können sie langfristig nur, wenn die besten Köpfe die Gelegenheit haben, in der Schweiz zu arbeiten, zu lehren, zu forschen und zu tüfteln. Auch empirische Untersuchungen stützen diese Analyse und kommen zum Schluss, dass die Personenfreizügigkeit zum Wachstum der ­Arbeitsproduktivität und des BIP pro Kopf beigetragen hat.

Und diese Studien decken zwei positive Effekte der Zuwanderung nicht einmal ab: Der Saldo der Personenfreizügigkeit würde noch weitaus positiver ausfallen, wenn man auch mit einrechnete, dass über die Bilateralen I ein Grossteil unseres Zugangs zum EU-Binnenmarkt von der Personenfreizügigkeit abhängt und dass wir den Zuwanderern zahlreiche Innovationen zu verdanken haben, die unsere Wirtschaft langfristig wettbewerbsfähiger machen.

Der Nutzen der Zuwanderung ist also beträchtlich. Doch fokussiert die öffentliche Debatte fast nur auf die angeblich negativen Nebeneffekte: Die fortschreitende Zersiedelung, volle Züge zu Stosszeiten und hohe Immobilienpreise. Anstatt konkrete verkehrspolitische, raumplanerische und wohnungspolitische Massnahmen zu ergreifen, soll pauschal die Zuwanderung reduziert werden. Dies ist höchst ineffizient. Denn damit riskieren wir, unsere wirtschaftliche Dynamik im Keim zu ersticken. Es ist an der Zeit, endlich wieder über die positive Bilanz der Zuwanderung zu sprechen.

*dieser Beitrag ist erstmals am 20. November in der Handelszeitung erschienen.