Für die Religionsfreiheit. Gegen das Burkaverbot.
Das Burkaverbot greift in die Religionsfreiheit ein. Es offenbart darüber hinaus ein äusserst problematisches Verständnis von Religionsfreiheit und gefährdet den religiösen Frieden in der Schweiz.
Beim Verhüllungsverbot geht es nur um aus eigener Überzeugung getragene Vollverschleierungen (jeglicher Zwang ist bereits heute verboten). Das Verhüllungsverbot stellt damit ein Eingriff in die Religionsfreiheit jener Frauen dar, die den Gesichtsschleier aus eigener, religiöser oder anderer Überzeugung tragen. Dieser Grundrechtseingriff kann in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht gerechtfertigt werden. Auf einer grundsätzlichen Ebene offenbart die «Burka-Debatte» weitere problematische Tendenzen im Hinblick auf Religion und ihr Verhältnis zum Staat und zur Gesellschaft. Die folgenden drei Ideen sind besonders problematisch.
Der Staat legt fest, was Religion ist und was nicht?
Erstens die Idee, dass der Staat festlegen dürfe, was zur Religion der Betroffenen gehöre und was nicht, und dass er damit festlegen könne, dass Burkas und Nikabs nicht zum Islam gehörten. Doch einerseits wird gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht vom Staat, von der Obrigkeit oder von der Öffentlichkeit festgelegt, was zu einer Religion gehört und was nicht, sondern von den Betroffenen. Wenn eine Frau aus religiösen Gründen ihr Gesicht verschleiern will, dann fällt das grundsätzlich unter den Schutz der Religionsfreiheit. Das hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so beurteilt. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit würde implodieren, wenn andere für mich bestimmen dürften, was Teil meiner Religion ist und was nicht. Andererseits spielt es gar keine Rolle, ob es zur Religionsfreiheit gehört oder nicht. Es kann auch als Ausdruck der Meinungsäusserungsfreiheit oder der persönlichen Freiheit betrachtet werden, so oder so ist es ein Eingriff in die Freiheit und in die Grundrechte des Einzelnen, der nicht gerechtfertigt werden kann, da ein Gesichtsschleier nicht in die Freiheit von anderen eingreift.
Irritierende Bekenntnisse aus der Öffentlichkeit verbannen?
Zweitens die Idee, dass man religiöse Bekenntnisse deshalb aus der Öffentlichkeit verbannen könne, weil es einer Mehrheit als radikal oder abwegig erscheine und die Mehrheit irritiere oder empöre. Nun ist es ist verständlich, dass eine vollverschleierte Frau in der Schweiz Unbehagen auslöst oder gar als Provokation aufgefasst wird. Nur: Das gilt auch für viele andere Bekleidungs- und Ausdrucksformen. Aber wo kämen wir hin, wenn wir einfach alles verbieten würden, was Unbehagen auslöst oder provoziert? Irritieren zu dürfen, ist eine Grundvoraussetzung einer freiheitlichen Gesellschaft.
Religion als Privatsache?
Drittens die sich zunehmend breit machende Idee, Religion sei Privatsache und daher aus dem öffentlichen Raum zunehmend zu verdrängen. Das ist nicht nur ein falsches, sondern auch ein äusserst gefährliches Verständnis von Religionsfreiheit: Religionsfreiheit heisst nicht, im öffentlichen Raum vor jeglichen Begegnungen mit religiösen Praxen geschützt zu werden. Wie absurd diese Verengung ist, wird deutlich, wenn man sich zum Vergleich vorstellt, die Meinungs- oder persönliche Freiheit würde nur in den eigenen vier Wänden gelten, nicht aber in der Öffentlichkeit. Ebenso wie die liberale Verfassung die freie Meinung und die persönliche Freiheit auch in der Öffentlichkeit schützt, so schützt sie auch die Freiheit, religiöse Ansichten alleine oder gemeinsam mit anderen zu bekennen.
Weitere Angriffe auf Grundrechte
Ein Angriff auf die Grundrechte einer religiösen Minderheit ist ein Angriff auf die Grundrechte von uns allen. Das Burkaverbot verletzt unmittelbar die Grundrechte einer kleinen Minderheit: Schätzungsweise 20-30 Frauen in der Schweiz tragen einen Nikab, Burkaträgerinnen gibt es keine. Gemäss aktueller Forschung tragen diese Frauen den Nikab aus eigener Überzeugung. Im Kern jedoch richtet sich die Initiative gegen eine muslimische Minderheit in der Schweiz. Wer meint, es werde nach dem Minarettverbot nun beim Burkaverbot bleiben, täuscht sich: Vorstösse für Gebets- und Kopftuchverbote liegen bereits auf dem Tisch. Wenn wir einer Minderheit den Grundrechtsschutz absprechen, stellen wir den Grundrechtsschutz als solchen und damit unseren freiheitlichen Verfassungsstaat in Frage.
In einer Gesellschaft, in der institutionalisierte Religionen an Bedeutung verlieren, werden Stimmen laut, welche die Religion gerne ganz aus dem öffentlichen Raum verdrängen und die Menschen auch gegen ihren Willen von der Religion “befreien” wollen. Diesen Tendenzen muss eine liberale Gesellschaft Einhalt gebieten, wenn sie die Grundrechte und den religiösen Frieden wahren will - angefangen bei der kleinen Minderheit, die von einem Burkaverbot betroffen wäre.