10 Thesen zum 10. Geburtstag von Operation Libero

Was soll die Zukunft bringen – und was nicht?

Operation Libero präsentiert zum 10-jährigen Bestehen 10 Thesen. Sie betreffen unseren Umgang mit Migration und Bürger*innenrecht, unser Handeln in einer neuen geopolitischen Ausgangslage, unsere Zukunft in und unsere Kooperation mit Europa, die Stärkung der modernen und liberalen Demokratie und ihrer Errungenschaften – und ihre Weiterentwicklung.

Was bringt die Zukunft? Es ist eine Frage so alt wie die Menschheit und wir können sie ebenso wenig beantworten wie andere. Aber wir können uns anhand von Thesen zur Schweiz Gedanken machen, was die Zukunft bringen soll und was nicht. Wir können anhand von Beobachtungen der Gegenwart darüber diskutieren, wohin die Schweiz steuern soll. Wir können Hoffnungen und Befürchtungen benennen. Und wir können uns in der liberalen Demokratie vortrefflich darüber streiten. Darum präsentieren wir zu unserem 10-jährigen Bestehen 10 Thesen.

Die Schweiz, sie ist nicht, sondern sie wird. Und wir sind seit 10 Jahren überzeugt, dass sie ihre besten Zeiten noch vor sich hat. Nicht aus Naivität heraus, sondern als Antrieb und als Vorsatz, selbst dazu beitragen zu wollen und zu können. Als Verfassungspatriot*innen fragen wir uns: Wie  viel mehr Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit, Inklusion und demokratische Teilhabe können wir noch erreichen? Wie können wir die Kluft zwischen dem Versprechen unserer liberalen Ideale und der Realität unserer Zeit weiter verkleinern?

Denn der Staat, das sind wir. Das birgt eine Verantwortung. Wir wollen diese Verantwortung ernst nehmen. Denn wir fühlen uns zugleich einem staatstragenden und staatskritischen Liberalismus verpflichtet – und wollen deshalb auch denjenigen entgegentreten, die über Verschwörungstheorien und Angriffe auf liberale Institutionen das Vertrauen in den Staat sowie dessen Fundament untergraben wollen.

Wir glauben daran, dass sich Rechtspopulismus entzaubern lässt, dass er stärker gemacht wird, als er ist. Und dass die liberale Demokratie selbst die stärksten Argumente gegen ihn in der Hand hat. Jeder Hype geht wieder vorbei – und wenn wir unsere Werte hochhalten, so werden auch die Rechtspopulisten von 2024 vorbeigehen. Dann werden wir in ein paar Jahren sagen: Rechtspopulismus, das ist so 2024.

Dafür müssen wir uns jedoch bewusst sein, dass nichts selbstverständlich ist. Auch nicht Europa. Wir haben uns an die Existenz des europäischen Projektes gewöhnt, an die Freiheiten, die dieses uns brachte, an den Frieden. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass uns die Kritik am Projekt einfacher erscheint, als der Weiterbau und die Verbesserung davon. Doch 2024 ist nicht 1992. Die geopolitische Situation Europas ist spätestens seit dem 24. Februar 2022 eine andere und am europäischen Projekt wird von innen und aussen so stark gerüttelt, dass es einen Wechsel unseres Mindsets braucht. Sonst werden wir Europa vermissen.

Nichts prägt dieses Schweizer Mindset so stark wie der Mythos der Neutralität. Die Vorstellung, dass es uns am besten geht, wenn wir uns aus Dingen raushalten, die uns nicht betreffen, zerberstet in dem Moment, wenn uns bewusst wird, wie sehr uns die Dinge eben doch betreffen. Noch stärker als zuvor ist die Schweiz auf Kooperation angewiesen, wirtschaftlich, institutionell, militärisch.

Und noch stärker als zuvor werden wir uns behaupten müssen gegen eine der stärksten Waffen, die auf unsere liberale Demokratie gerichtet ist: die Waffe der Desinformation. Der mediale Service public ist darum auch Sicherheitspolitik. Eine gesunde Demokratie braucht starke Medien und einen starken Service public.

Eine starke Demokratie bedingt zudem die Mitbestimmung und Beteiligung derjenigen, die in ihr leben. Mit dem bisherigen Ausschluss von einem Viertel der ständigen Wohnbevölkerung von politischen Entscheidungsprozessen und damit gleichen politischen Rechten ist die Schweiz keine Vorzeigedemokratie. Sie könnte es werden. Unser aktueller Umgang mit dem Bürger*innenrecht wie auch der Migration steht der Verwirklichung der Willensnation und des Chancenlands im Wege.

Migration sollte grundsätzlich erlaubt und nur ausnahmsweise verboten sein. Auch darum freuen wir uns auf die 11-Millionen-Schweiz. Insbesondere aber steht diese Schweiz von 11 Millionen auch als Sinnbild  für eine Schweiz, die Veränderung als Chance betrachtet. Eine Schweiz, die verschiedene Lebensentwürfe ermöglicht. Und eine Schweiz, die Freiheit nicht als etwas einmal Gegebenes, sondern als etwas stetig zu Erreichendes begreift. Als eine Freiheit, die ist wie Fahrrad fahren: Stehen wir still, fallen wir um. In einem solchen Verständnis müssen liberale Errungenschaften und Freiheiten nicht nur verteidigt, sondern auch weiter ausgebaut werden.

Dass auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen, war ein wichtiger Schritt. Ebenso wichtig wird der Schritt eines dritten Geschlechtseintrages sein. Noch liberaler allerdings wird auf lange Sicht sein, wenn wir irgendwann einen neuen, rein zivilrechtlichen Vertrag haben, der allen Paaren offensteht und wenn wir auf den Geschlechtseintrag verzichten können. Nach der Ehe für alle kommt die Ehe für niemanden. Und nach dem Dritten Geschlechtseintrag folgt kein Geschlechtseintrag.

In den kommenden Wochen wollen wir über diese Thesen diskutieren. Wir werden mit unseren 10 Thesen an 10 Orte in der Schweiz reisen, inklusive Kuchen, und die Bevölkerung zum Mitdiskutieren einladen. Und wir wollen diese 10 Thesen auch an 10 Bahnhöfen in der Schweiz aufhängen, um eine breite Diskussion zu lancieren.


Autor: Silvan Gisler, Gründungs- und Vorstandsmitglied

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